Betonung der Werte

geschrieben von Regina Girod

6. Mai 2025

80 Jahre nach der Befreiung: Antifaschismus gestern, heute und morgen

Seit mehr als 100 Jahren stellen sich in Europa antifaschistische Bewegungen dem Faschismus entgegen. Wer den Kampf heute führt, trägt so das Erbe von vier Generationen weiter. In dieser langen, von zwei Weltkriegen geprägten Periode haben große gesellschaftliche Umbrüche stattgefunden, doch bis jetzt ist die Gefahr faschistischer Entwicklungen nicht gebannt. 80 Jahre nach dem militärischen Sieg über den Hitlerfaschismus geht es noch immer darum zu verhindern, dass sich die Katastrophen des 20. Jahrhunderts wiederholen. Doch was heißt das für Antifaschistinnen und Antifaschisten heute? Was ist das Bleibende in unserer Bewegung, und was verändert sich?

Neugründung dringend notwendig

Erfahrungen aus der Geschichte zeigen, dass diese Fragen immer wieder stehen. Im Osten Deutschlands haben wir 1990 mit dem IVVdN (Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener, kurz Interessenverband der Verfolgten des Naziregimes) und dem BdA (Bund der Antifaschisten) zwei antifaschistische Organisa-tionen neu gegründet. Das war dringend notwendig, weil extrem rechte Strukturen wie Pilze aus dem Boden schossen und die Delegitimierung des Antifaschismus der DDR nationalistische und faschistische Hetze beförderte. In der Diskussion über die Programmatik der neuen Organisationen wurde schnell klar, dass sie unterschiedliche Zugänge zum Antifaschismus ermöglichen müsse, wie wir sie von den Gegnern des historischen Faschismus kannten – Menschen mit verschiedenen Weltanschauungen und politischen Überzeugungen, die die Barbarei des Faschismus ablehnten und sich widersetzten.

Was war das Gemeinsame, das sie verbunden hatte? Wir formulierten zwei Losungen für den neuen Bund der Antifaschisten: »Antifaschismus ist eine Menschenrechtsbewegung« und »Antifaschismus ist Humanismus in Aktion«. Damit betonten wir die humanistischen Werte des Antifaschismus und unsere Überzeugung, dass er im Kern eine Menschenrechtsbewegung ist, die sich gegen Demokratiefeindlichkeit, Nationalismus, Krieg und alle Formen von Menschenfeindlichkeit richtet. Die Formulierung vom Humanismus in Aktion unterstrich unseren Anspruch, faschistischen Aktivitäten entschlossen entgegenzutreten, denn in den 1990er-Jahren hatten sich in ostdeutschen Bundesländern vielerorts gewalttätige Nazigruppen gebildet.

Auf der Basis dieser Werte fanden auch Menschen zu unserer Organisation, die nicht unbedingt kommunistisch sozialisiert waren. So lernten wir unter den neuen Bedingungen, andere Sichten zu akzeptieren und Kompromisse zu finden. Die Notwendigkeit der Zurückdrängung von Menschenfeindlichkeit und Gewalt führte vielerorts zur Etablierung von Bündnissen gegen rechts – allein hätten wir das nicht erreichen können. In den Jahren nach dem Ende der bipolaren Teilung der Welt entstanden so neue Perspektiven, aber auch neue Gefahren. Die Betonung der Werte im Selbstverständnis unserer Organisation machte es möglich, unser Erbe zu bewahren und neue Formen antifaschistischer Politik zu entwickeln.

Heute sehen wir uns mit Veränderungen konfrontiert, die noch tiefer gehen, als die der 1990er-Jahre. Eine multipolare Weltordnung entsteht. Existentielle Probleme, die die gesamte Menschheit betreffen, drohen unlösbar zu werden, und in Folge dieser Krisen erstarken überall und auch in Deutschland nationalistische, rassistische und faschistische Kräfte.

Doch die neuen Gefahren bringen auch neue Gegenkräfte hervor, die sich auf der Grundlage gemeinsamer Werte in anderer Weise verbinden können als früher. Für die Orientierung und das Engagement in solchen Bewegungen spielen individuelle Erfahrungen heute eine größere Rolle als zu Zeiten, in denen Parteien und Organisationen eine »Linie« vorgaben. Ein Beispiel dafür waren für mich im Januar die Massenproteste gegen den AfD-Parteitag in Riesa.

Gemeinsamem Anliegen Gewicht verleihen

Die mehr als 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die das Bündnis »Widersetzen« nach Riesa mobilisieren konnte, kamen keineswegs nur aus dem klassischen Antifaspektrum. Da waren Gewerkschaften ebenso vertreten wie unterschiedliche Linke, studentische Organisationen oder UmweltaktivistInnen, deren Erfahrungen bei den Blockadeaktionen hilfreich waren. Sicher waren die Protestierenden in vielen politischen Fragen unterschiedlicher Meinung, doch an diesem Tag ging es darum, einem gemeinsamen Anliegen politisches Gewicht zu verleihen.

Wir müssen heute davon ausgehen, dass die Verteidigung von Menschenrechten und Demokratie und die Bewahrung der Umwelt ohne breite Bündnisse und Massenbewegungen nicht möglich sein werden. Für den Antifaschismus der Zukunft heißt das, sein historisches Wissen und seine Ressourcen ohne Berührungsängste in diese Bündnisse einzubringen und dabei offen für neue Erfahrungen zu bleiben.

Regina Girod unterrichtet Sozialpsychologie in Berlin. Sie hat den BdA und die gesamtdeutsche VVN-BdA in verschiedenen Funktionen mitgestaltet, unter anderem 16 Jahre als Redaktionsleiterin der antifa. Seit 2023 ist sie Vizepräsidentin der Fédération Internationale des Résistants (FIR).

Zu den neuen Aktionsformen, die sich entwickelt haben, zählen z. B. auch die »Omas gegen rechts«, von denen sich viele nicht nur antifaschistisch engagieren. In Berlin beteiligten sich z. B. Vertreterinnen der »Omas« regelmäßig an den Aktionen von »Fridays for future«.