Ein Abschiedsgruß

geschrieben von Christiane Chodinski und Norma van der Walde

6. Mai 2025

Die Antifaschistin und Shoah-Überlebende Peggy Parnass ist tot

Liebe, liebe Peggy,

nun bist Du von uns gegangen, und alle Deine Freunde sind tieftraurig. Mit 97 Jahren durftest Du ohne Schmerzen im Schlaf sterben, Du, die so wahnsinnig gern lebte und bis zum Schluss überall dabei sein wollte.

Als Elfjährige wurdest Du 1938 mit Deinem vierjährigen Bruder Gady mit dem Kindertransport von Deinen jüdischen Eltern nach Schweden geschickt. Damit retteten sie euch das Leben. Sie selbst wurden in Treblinka ermordet. Dieser Gedanke verfolgte Dich Dein ganzes Leben lang.

Nach der Befreiung kamst Du auf Umwegen zurück nach Hamburg, wahrlich nicht gern, aber irgendwie hielt es Dich hier, denn Du fandest unglaublich viele Freunde. War Hamburg Deine Heimat? Nein, für Dich waren nicht Länder oder Städte Heimat, sondern Familie, Freunde und Menschen, die Dich brauchten.

Schauspielerin wolltest Du werden und in großen Produktionen mitwirken. In einigen Filmen konnte man Dich sehen, aber bekannt und berühmt wurdest Du als kämpferische jüdische Frau und als Gerichtsreporterin für die Zeitschrift Konkret. Deine Reportagen waren so lebendig geschrieben, als säße man mit Dir im Gerichtssaal. Nie standen die Großen und Mächtigen im Mittelpunkt, sondern die aus der Bahn Geworfenen, die Verzweifelten, die Benachteiligten.

Du schriebst: »Es war für mich immer ein Problem, in diesem Land zu leben. Ich versuchte aber, fair zu sein und nicht jedem hier anzulasten, was in der Nazizeit passiert ist. Schon gar nicht den Leuten verschiedenster Jahrgänge, mit denen ich, wenn auch vergeblich, intensiv gegen Wiederbewaffnung und Notstandsgesetze kämpfte. Ich machte es mir leicht, indem ich meinen Freundeskreis wie eine Mauer um mich herumzog.«

Peggy Parnass (11. Oktober 1927–12. März 2025) Foto: privat

Peggy Parnass (11. Oktober 1927–12. März 2025) Foto: privat

Du sagtest auch: »Für mich gibt es kein Tabuthema. Natürlich gibt es diesen Druck gegen links. Jedes Mal, wenn ich irgendetwas veröffentlichte, wurde ich abgestraft, gab es Drohbriefe und -anrufe, Morddrohungen. Praktisch immer, wenn ich den Mund aufgemacht habe. Aber es gibt da nichts, was mich aufhalten würde: Ich sage, schreibe und denke, was ich will.«

Und Du schriebst: »Ich habe immer gegen Ungerechtigkeit gekämpft, egal gegen wen. Immer auch für Farbige. Dass offensichtlich überall jeder einen Schwächeren braucht, auf den er herab-sehen kann (…) Rassismus ist die schlimmste Form von Dummheit. Es ist die Angst vor dem Unbekannten, die Menschen dazu bringt, andere zu hassen. Wir dürfen nicht vergessen, was passiert, wenn wir zulassen, dass Hass uns trennt.«

Der biografische und politische Film »Überstunden an Leben« von Gerhard Brockmann und Jürgen Kinter zeigt beeindruckend auch Deinen Kampf für homosexuelle und behinderte Menschen und für alle, die von der Gesellschaft an den Rand gedrängt oder unterdrückt werden.

Immerhin fandest Du durchaus Anerkennung in unserem Land: Du wurdest Ehrenmitglied des PEN-Zentrums mit dieser Begründung: »Der PEN ehrt damit eine Frau, die sich zeitlebens mutig und unbeirrt für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt und gegen jede Form von Faschismus und Unterdrückung gekämpft hat, trotz nunmehr jahrzehntelanger, oft offen antisemitischer Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen.« Und Du wurdest u. a. mit diesen Preisen ausgezeichnet: dem Joseph-Drexel-Preis für hervorragende Leistungen im Journalismus, dem Fritz-Bauer-Preis, der Biermann-Ratjen-Medaille, dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, der Ehrendenkmünze in Gold des Hamburger Senats.

Dass im Hamburger Stadtteil, dort wo Du mit Deinen Eltern lebtest, im Oktober letzten Jahres der Parnass-Platz eingeweiht wurde, erfüllte Dich mit großem Glück. Auf dem Foto hältst Du mit einem strahlendem Lächeln den Ausweis der VVN-BdA. »Wie?« hattest Du ausgerufen, »war ich nicht schon ewig Mitglied? Das muss jetzt aber schleunigst nachgeholt werden!«

Deine Stimme in unserer Stadt, in unserem Land ist verstummt, aber die Erinnerung an Dich, liebe Peggy, und Dein Vermächtnis werden uns in unserem Kampf um Frieden, Humanismus und Gerechtigkeit begleiten.

Christiane Chodinski ist Landessprecherin der VVN-BdA in Hamburg, Norma Mitglied des Beirats und Organisatorin der jährlichen Veranstaltung zum 9. November. Beide haben Peggy in den letzten Jahren begleitet.