Faktisch unbegrenzt Mittel
6. Mai 2025
»Zeitenwende«: Sicherheitspolitische Weichenstellung im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung
Die entscheidende Weichenstellung in der Sicherheitspolitik erfolgte bereits 2022, als der damalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die »Zeitenwende« ausrief. Zusammen mit CDU/CSU wurde zur Finanzierung von Rüstungsausgaben für die Bundeswehr und die Unterstützung von Kiews Armee ein »Sondervermögen« von 100 Milliarden Euro unter Umgehung der Schuldenregel beschlossen. Außerdem wurden die Mittel für die Verteidigung im »normalen Haushalt« deutlich angehoben, ohne dass – wie es im Koalitionsvertrag der »Ampel« stand – im gleichen Maße auch Mittel für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung stiegen. Bereits zu Beginn der jüngsten Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD beschloss der »alte Bundestag« zusammen mit den Grünen, die Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des BIP von der Schuldenregel auszunehmen. Dies ermöglicht der neuen Regierung, faktisch unbegrenzt Mittel für die Bundeswehr, zivile Verteidigung oder Waffenlieferungen an die Ukraine freizugeben. Der Vorrang für das Militär schlägt sich im neuen Koalitionsvertrag an verschiedenen Stellen nieder:
- Ausgaben »müssen bis zum Ende der Legislatur-periode deutlich und stringent steigen«.
- Einführung eines mehrjährigen Investitionsplans für Verteidigungsfähigkeit zur langfristigen finanziellen Planungssicherheit und ein Bundeswehr-»Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz«.
- »Wir verankern unsere Bundeswehr noch stärker im öffentlichen Leben und setzen uns für die Stärkung der Rolle der Jugendoffiziere ein, die an den Schulen einen wichtigen Bildungsauftrag erfüllen.«
- »Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert.« Dies bedeutet, dass »zunächst« auf eine (Wieder-)Einführung der Wehrpflicht in Friedenszeiten verzichtet wird.
- »Hemmnisse, die beispielsweise Dual-Use-Forschung oder auch zivil-militärische Forschungskooperationen erschweren, (sollen) abgebaut werden. Außerdem wollen wir die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands im Weltraum entschlossen und zügig ausbauen.«
- Planungs- und Beschaffungsprozesse sollen vereinfacht und beschleunigt werden, dabei soll die Parlamentsbeteiligung verringert werden.
- Sogenannte Zukunftstechnologien sollen bei der Bundeswehr eingeführt werden, insbesondere Satellitensysteme, Künstliche Intelligenz, unbemannte (auch kampffähige) Systeme, Elektronischer Kampf, Cyber, Software Defined Defense und Cloud-Anwendungen sowie Hyperschallsysteme.
- Damit verbunden ist eine Förderung der deutschen und europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie »durch langfristige planbare Beauftragungen und vereinfachten Kapitalzugang«.
- In dem Kontext sollen »Rüstungsexporte stärker an unseren Interessen in der Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik« ausgerichtet, vereinfacht und beschleunigt werden. Nur wenn ein »erhebliches konkretes Risiko besteht«, dass Rüstungsexporte zur internen Repression oder in Verletzung des internationalen Rechts eingesetzt werden, werden sie abgelehnt.
- Durch ein Bundeswehrinfrastrukturbeschleunigungsgesetz sollen entsprechende Bauvorhaben Vorrang bekommen und einfacher umgesetzt werden.
- Und schließlich: »Die Bundeswehr und alle staatlichen sowie gesamtgesellschaftlichen Akteure müssen effektiv zusammenarbeiten können, um Angriffe auf unser komplexes System schnell zu erkennen und gezielt und wirksam zu bekämpfen.«
Ansätze zu Alternativen zur Hochrüstung und militärgestützten Politik gibt es im Vertrag durchaus, aber sie sind stark unterentwickelt. So heißt es: »Unser langfristiges Ziel bleibt das Bekenntnis zu Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung sowie Abrüstung (…). Zu unserer Sicherheit gehören die Bewahrung und Weiterentwicklung der regelbasierten internationalen Ordnung auf der Basis des Völkerrechts, der universellen Geltung der Menschenrechte und der Charta der Vereinten Nationen. Wir werden uns weiterhin weltweit für die Bekämpfung von Armut, Hunger und Ungleichheit engagieren und für die Erreichung der internationalen Nachhaltigkeitsziele sowie des Pariser Klimaschutzabkommens einsetzen. (…) Wir werden zukünftig eine auskömmliche Finanzierung der humanitären Hilfe und Krisenprävention sicherstellen.« Im Gegensatz zum militärischen Engagement wird dies aber weder konkretisiert noch finanziell unterlegt. Vielmehr sollen die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit reduziert werden: »Aufgrund der Notwendigkeit, den Haushalt zu konsolidieren, muss eine angemessene Absenkung der ODA1-Quote erfolgen.«
Um Akzeptanz für diese militärlastige Politik zu bekommen, wird Angst vor einem Angriff Russlands geschürt. Es ist fraglich, ob dies dauerhaft trägt, zumal die »Kriegsertüchtigung« Konsequenzen für sehr viele Teile der Gesellschaft haben wird: Fragebogen der Bundeswehr gehen an alle jungen Staatsbürger*innen, der »Operationsplan Deutschland« verplant Krankenhäuser und kommunale Einrichtungen für den Zivilschutz, und schließlich gehen die Militärausgaben im Bundeshaushalt zu Lasten anderer Bereiche. Hinzu kommt, dass laut Umfragen die Mehrheit der Bevölkerung sich einen »Vorrang für zivile Instrumente« wünscht.
Freiheit und Frieden sichern?
In der Präambel des Koalitionsvertrags wird die Linie der nun neu geformten Regierung begründet: »Wir stärken unsere Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit, um Freiheit und Frieden zu sichern. Stärke ist die Voraussetzung für Frieden. Deshalb wollen wir uns verteidigen können, um uns nicht verteidigen zu müssen. Mit Entscheidungen zur künftigen Finanzierung und Architektur unserer Sicherheit haben wir die Grundlage dafür gelegt, uns jeder äußeren Bedrohung erfolgreich zu erwehren. Wir stehen an der Seite der Ukraine, die auch unsere Freiheit und die Prinzipien der regelbasierten Ordnung verteidigt, und setzen auf einen gerechten und gemeinsam mit der Ukraine ausverhandelten Frieden.«
»Das Machtstreben von Wladimir Putin« liefert die Begründung, um Deutschland massiv aufzurüsten. »Wir bekennen uns klar zu unserer Verantwortung in der NATO und zu einer starken europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.« Was im Koalitionsvertrag unerwähnt bleibt: Das mittelfristige Ziel der Hochrüstung ist sicherlich auch, dass die europäischen Staaten im weltweiten Kampf um Einfluss zwischen USA, China, Indien, Russland, Brasilien und Südafrika mitmachen können.
1 Official Development Assistance –
Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit
Der Autor ist aktiv in der Aktions-gemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und im Netzwerk Friedenskooperative.
Siehe auch Seiten 8, 9 und verschiedene Beiträge im Länderteil
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Hamburger Ostermarsch 2025.
Foto: E.W. Grueter/r-mediabase