Für Frauen und Mädchen eine Bedrohung
6. Mai 2025
Struktureller Narzissmus bei Männern und das Neopatriarchat. Ein Gespräch mit Hanna Vatter
Hanna Vatter arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Potsdam und promoviert kooperativ an der Universität Bielefeld. Sie arbeitet zu Männlichkeit und besonders junger Männlichkeit
antifa: Du sprichst von »strukturellem Narzissmus« bei Männern, die sich in autoritären Bewegungen engagieren. Was sind die Gründe, und wie lässt sich dieser Narzissmus als Teil der größeren rechten Ideologie erklären?
Hanna Vatter: Ich gehe davon aus, dass wir in einer neopatriarchalen Gesellschaft leben, in der Männlichkeit als selbstverständlich gilt. Dies führte dazu, dass sie lange Zeit nicht als gemeinsames Merkmal der Täterschaft wahrgenommen wurde. Der männliche Narzissmus ist nicht nur Teil der Rechten, sondern eine gesellschaftliche Struktur und bestimmt damit das Geschlechterverhältnis bzw. Nichtverhältnis.
Ich beziehe mich hier auf die Psychoanalytikerinnen Alenka Zupančič und Luce Irigaray, die von Strukturen sprechen, die unsere Denkweise und unser Zusammenleben beeinflussen. Sie argumentieren, dass eine strukturell männliche Position reproduziert wird, die sich als autonom und vollständig imaginiert.
Es wird also in jeder Menschwerdung ein Nichtverhältnis reproduziert, das auf einer logischen Ausnahme, nämlich dem Weiblichen basiert. Diese weibliche Position erscheint gesellschaftlich als Stütze und Ermöglichung des Männlichen-Einen.
Die Imagination der Vollständigkeit, des Männlichen-Einen, geht mit einer unbewussten »Angst vor Kastration« einher, eben nicht das autonome Übergeordnete zu sein – etwa abhängig zu sein vom Mütterlichen oder Weiblichen. Westliche Patriarchate reproduzieren dieses Männliche-Eine im Kulturellen als Übergeordnetes. Die gesamtgesellschaftlich ansteigende Misogynie, die in rechtsautoritären Diskursen zugespitzt ist, ist Ausdruck dieser Angst davor, nicht autonom und ebenfalls nicht wertvoller als das Weibliche zu sein.
Weil wir nicht in der befreiten Gesellschaft leben, sondern nach wie vor in einer patriarchalen, werden unter anderem »die Frauen« für gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht. Einzelne Frauen, die in der Lohnarbeit aufstiegen und weniger Careverantwortung übernehmen wollen, werden aus Angst und Kränkung als übermächtig imaginiert. Migrantisierte Frauen beispielsweise werden in rechten Diskursen auf ihre Gebärfähigkeit reduziert, die hingegen als Gefahr wahrgenommen wird. Frauen und queere Menschen werden besonders von Rechtsautoritären gewaltvoll für diese Kastrationsangst und narzisstische Kränkung bestraft, und ihnen wird die Fähigkeit zur Vernunft abgesprochen. In diesen Diskursen wird Definitionsmacht beansprucht, was »das Weibliche« ist und wie es sich zu »dem Männlichen« zu verhalten hat.
antifa: Viele der Attentäter der letzten Jahre gehörten zum Incel- oder Pick-up-Artist-Umfeld. Was macht diese Verbindung zwischen Männlichkeit, Kränkung und Gewalt so gefährlich? Warum sind viele Täter so jung?
H. V.: Die Verbindung zwischen Männlichkeit, Kränkung und Gewalt ist gefährlich, weil sie auf einer unbewussten Angst vor Kastration und einer narzisstischen Kränkung basiert. Diese Angst und Kränkung führt zu Aggressionen gegenüber Mädchen, Frauen und queeren Menschen, die die Selbstverständlichkeit der eigenen Überlegenheit infrage stellen. Im Incel- und Pick-up-Artist-Umfeld wird diese Angst und Kränkung zugespitzt und in eine misogyne Erzählung gebracht. In dieser sind Frauen eine Ermöglichung des Männlichen und seiner Bedürfnisse, sie werden biologisiert und objektifiziert. Was gesamtgesellschaftlich schon in misogyner Ideologie verbreitet ist, wird von Incel und Pick-up-Artists intensiviert.
So wird Weiblichkeit innerhalb der »Red-Pill«-Erzählung biologisiert, es wird ein männliches Anrecht auf Sex und Liebe von Frauen behauptet und zum Teil durch gewalttätiges Verhalten grenzüberschreitend auch durchgesetzt. Die Gefahr liegt darin, dass diese misogyne Ideologie eine ressentimenthafte Komponente hat, die zu extremer Aggression und Gewalt führen kann, zum Beispiel, wenn sich seitens junger Männer nur noch in den Männerrechts-Ingroups aufgehalten wird. Ein Beispiel für die Verbindung zwischen Misogynie und gewaltvollem Verhalten ist die Coaching-Vernetzung »ChampLife«. Hier wurden von Pick-up-Artists Seminare angeboten, in denen junge Männer für sehr viel Geld lernten, wie sie Mädchen und Frauen in Beziehungen manipulieren können, um sie mittels der »Loverboy-Methode« auf dem sozialen Netzwerk »Only Fans« zur Pornografie oder Prostitution zu bringen. Die misogyne Täterschaft ist jung wie alt – das Gemeinsame ist die Männlichkeit und die falsche Wahrnehmung einer Anmaßung oder Übermacht von Mädchen und Frauen.
antifa: Die Incel-Bewegung hat sich zu einer gefährlichen digitalen Subkultur entwickelt. Welche Rolle spielt das Internet als Katalysator für frauenfeindliche und antifeministische Ideologien?
H. V.: Ich kritisiere die verbreitete Erklärung, dass junge Menschen derzeit »vom Algorithmus manipuliert« seien, als verkürzt. Stattdessen sehe ich, dass in der Kulturindustrie misogyne Ressentiments und die Objektifizierung von Mädchen und Frauen stark ausgeprägt sind.
Die Kulturindustrie, einschließlich Gaming, Pornografie und konkurrenzbasierter Selbstvermarktung auf Social Media, vermittelt jungen Männern ein Verständnis von Männlichkeit als überlegen und in Besitz einer Anspruchshaltung gegenüber Mädchen und Frauen. Junge Männer suchen im Digitalen nach Männerbünden nebst Vorbildern, in denen sie sich innerhalb der dort konstruierten Ingroup gegen das Weibliche und das Queere abgrenzen können. In Incel- und Pick-up-Artists-Räumen oder auf Gaming-Plattformen findet auch die Organisation gemeinsamer »Hate Speech«-Angriffe gegen Frauen und Queers statt. Diese Männerbünde bieten einen Raum für die Performanz eigener Überlegenheit und der aggressiven Bestrafung des Weiblichen. Auf »Imageboards« kommt es beispielsweise vor, dass gepostete Bilder von Femiziden gefeiert werden.
Dieses Verhalten ist für Frauen und Mädchen eine Bedrohung. Das Kommunizieren innerhalb bestimmter Räume ist eine bewusste Entscheidung. Insofern kann gesagt werden, dass zwar die Misogynie als Ressentiment teils unbewusst ist, die Radikalisierung jedoch durchaus eine bewusste Entscheidung ist auf Grundlage von empfundenen Bedürfnissen, wie Kränkung, Aggression oder auch einem Gefühl der Sinnlosigkeit. Im digitalen Raum können wir sehen, dass Frauen, Mädchen und queere Personen dadurch von massiver, verbaler Gewalt betroffen sind. Auch partnerschaftliche Gewalt steigt derzeit massiv an. Die Verbreitung von Narrativen der Incel und der Pick-Up-Artists ist gefährlich, weil sich immer mehr junge Männer an ihnen orientieren. Damit steigt die gesamtgesellschaftliche Misogynie und verbale wie physische Gewalt gegen Frauen.
antifa: Wie gelingt es rechten Gruppen, die Vorstellung von einer vermeintlich »höherwertigen weißen Männlichkeit« in der breiten Gesellschaft zu verankern?
H. V.: Rechte Gruppen knüpfen an der unbewussten, ressentimenthaften Ebene von Misogynie an, die in der Gesellschaft vorherrscht. Sie konstruieren eine Schuldgruppe, die für die gesellschaftliche Misere verantwortlich gemacht wird. In diesem Fall sind es die Frauen, aber auch queere Menschen. Das rechte misogyne Narrativ geht in Abwandlungen so: Wären die Frauen in ihrer richtigen gesellschaftlichen Position (wie zum Beispiel »die Ausländer-Frauen«), gäbe es keinen »demografischen Wandel« und die Nation Deutschland/Europa der Vaterländer wäre wehrhaft gegen »die Ausländer-Männer«, die als »Messerstecher« Schuld an gesellschaftlicher Gewalt sind. Der konstruierten Gruppe »die Ausländer-Frauen« wird biologistische Gefährlichkeit angedichtet, sie seien zwar am Herd gut aufgehoben und insofern vorbildlich, durch ihre Geburtenrate würden sie aber »die westliche Kultur« überfremden. »Die Feministinnen« müssen aggressiv bekämpft werden, denn diese würden die Gesellschaft dominieren und so verweichlichen.
Dazugekommen ist mit der Ausbildung der Pick-up-Artist- und Incel-Kultur die Konzentration auf Dating als Beziehungsverhalten, das unter jungen Männern verbreiteter ist als unter älteren. Im Denken und Handeln extrem rechter Jugendgruppen wie der »Deutschen Jugend voran«, »Elbland-Revolte« oder der »Identitären Bewegung« bildet Misogynie neben Rassismus und Klassismus einen bedeutenden Teil ihrer Politik. Sie bilden damit eine Brücke zur insgesamt sehr weit verbreiteten Misogynie.
Wenn ein junger Mann also auf Social Media »DonJon verführt« anschaut, sieht er in Bezug auf »die Frauen« die gleichen Narrative, wie sie die neonazistische Jugend vertritt. Die Rechte insgesamt schafft ein transgenerationales Bündnis zwischen jungen und älteren Männern, das sich auf traditionell patriarchale Erzählungen stützt. Dieses Bündnis ermöglicht eine Nähe zwischen den Männern verschiedener Generationen und fußt auf dem Wunsch nach männlicher Autorität.
Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist Maximilian Krah, der seine Träume von einer patriarchalen Großfamilie und der Rücknahme von Frauenrechten immer wieder selbstbewusst inszeniert. Er präsentiert sich jungen Männern gegenüber als autoritäres Vorbild und wandte sich auch auf Social Media an sie.
Es ist also wichtig, Misogynie zu bekämpfen und die Rechte von Frauen zu schützen. Dazu gehört auch, die patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft zu hinterfragen und solidarische Räume der Bildung und Partizipation zu finanzieren.
Das von Andreas Siegmund-Schultze geführte Gespräch befindet sich hier in einer umfangreicheren Fassung als in der Printversion.