Nicht nur ein Hype
6. Mai 2025
Die rechten Mobilisierungen gegen CSDs. Interview mit AK Fe.In
antifa: Zwischen April und Oktober 2024 gab es rund 200 Christopher-Street-Day-Paraden zur öffentlichen Sichtbarmachung queeren Lebens in Deutschland. Bei etwa 30 Prozent der Paraden gab es Störungen durch Gegenkundgebungen und/oder durch Angriffe. Mit Zahlen von bis zu 700 Neonazis in Bautzen waren das die größten Mobilisierungen der Szene der letzten Zeit. Warum gerade jetzt, und lässt sich ein Muster erkennen?
AK Fe.In: Die weit verbreitete Ansicht ist, dass dies vor allem im Osten und in kleineren Städten passiert. Tatsächlich ist es differenzierter. Störungen finden überwiegend in ländlichen Regionen statt, Brandenburg war da beispielsweise ein Hotspot. Organisierte rechte Demonstrationen und Kundgebungen passieren aber vor allem in mittleren Städten, und zwar deutschlandweit. Ja, es gibt eine absolute Häufung in Sachsen, aber auch rechte Demonstrationen in Bayern und ziemlich viele Störungen in Niedersachsen. Es sind fast immer die regionalen Neonazistrukturen, die mobilisieren, und oft eine extrem rechte Kleinstpartei, die den Protest anmeldet. Die Teilnehmenden sind meist sehr junge, männlich dominierte Gruppen, die »sportorientiert« und subkulturell geprägt sind: Active Clubs, Revolte xy, Deutsche Jugend Voran usw. Ihr Ziel ist der territoriale Machtanspruch in einer bestimmten Stadt oder Region – letztlich die nationalbefreite Zone, wie wir sie aus den 90er Jahren auch kennen. Die Prides gelten als Projekte der gesellschaftlichen Linken, der Gleichberechtigung und des »Establishments«. Dabei ist völlig egal, wie bürgerlich nett oder kämpferisch antifaschistisch die Paraden sind. Sie sind willkommene Anlässe, um einen rechten Kulturkampf zu führen und an Debatten der bürgerlichen Mitte – zum Beispiel die Ablehnung geschlechtergerechter Sprache, Transfeindlichkeit usw. – anzuknüpfen. Die Spaltungslinie »normal« gegen »woke« kommt nicht von den Neonazis, sondern von der CDU/CSU und der AfD.
antifa: Das Online-Monitoringprojekt CeMAS hat die Mobilisierungen gegen die Prides analysiert. Sie kommen zu dem Schluss, dass es sich um einen koordinierten Versuch gehandelt hat, queere Menschen in der Breite einzuschüchtern. Die Kombination aus Online-Mobilisierung auf Instagram, WhatsApp und TikTok und tatsächlicher Straßengewalt hat eine neue Qualität. Die jungen Neonazigruppen, die sonst schnell in der Bedeutungslosigkeit verschwanden, sind durch ihre Aktionen bei den Prides erst wirklich bekannt geworden. Die nachträgliche visuelle Präsentation im Internet erzeugte einen Hype, an dem rechte Jugendliche im ganzen Land teilnehmen wollten. Wie schätzt ihr die Macht des Internets zur Erzeugung solcher Hypes ein?

Das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In) ist ein feministisches und antifaschistisches Recherchekollektiv. Eine Auswertung und Analyse der rechten Angriffe auf die CSDs 2024 erscheint in Kürze auf www.nsu-watch.info.
AK Fe.In: An der Hype-Hypothese ist schon was dran, aber trotzdem raten wir dazu, die Netzwerkanalysen, rechte Influencer und flüchtige Interaktionen im Internet nicht überzubewerten. Ja, regionale Neonazistrukturen können ihre Propaganda dadurch weiter verbreiten und Nachahmer anregen. Aber für die Störung eines lokalen CSDs brauchen sie das nicht. Der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang, in dem sich diese rechten Mobilisierungen herausbilden und Fuß fassen, lässt sich nicht auf ein Format reduzieren. Wenn die halbe Oberstufe die AfD wählt, ist nicht TikTok das Problem. Die Jugendlichen sind teilweise in extrem rechten Familien aufgewachsen, sie kennen sich über Fankulturen, vom Fußball usw. Die Zusammenarbeit von Parteistrukturen und jüngeren Organisationen deutet eher darauf hin, dass die Kaderarbeit und Wissensvermittlung in der extremen Rechten kontinuierlich weiterläuft.
antifa: Wie reagierten die Organisator*innen der CSDs 2024 auf die zunehmende Bedrohungslage, und was ist in der kommenden Saison zu beachten?

CeMAS-Studie: »Eine neue Generation von Neonazis: Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen im Jahr 2024 durch rechtsextreme Jugendgruppen im Internet« (November 2024), Download unter cemas.io.
AK Fe.In: Wir wissen nicht, welchen Eindruck staatliche Repression auf die Organisatoren der Störungen gemacht hat, aber wir vermuten mal, dass es 2025 so weitergeht, falls kein anderes Thema die extreme Rechte mehr beschäftigt. Wichtig erscheint uns, sich die Taktiken der Neonazis und die Reaktionen der Medien und Lokalpolitik genauer anzuschauen, um gegensteuern zu können. 2024 gab es manchmal Spannungen innerhalb der Paraden, was den Umgang mit Störungen angeht. Wie proaktiv wollen wir sein, verändert das den Charakter des Prides, ist das noch ein Ort, wo sich alle wohl fühlen? Die Kritik am Auftreten einiger Antifas sollte ernst genommen werden. Arbeitsteilung macht hier Sinn. Kleinere Prides sind eher gefährdet, weil das Verhältnis schneller zugunsten der Neonazis kippt, und der Schutz der An- und Abreise ist zentral. Vorher genau zu recherchieren, welche lokalen Neonazistrukturen den CSD erwarten, ist wichtig, um selbst auch frühzeitig Beistand zu organisieren. Dafür ist Vernetzung, Austausch von Erfahrungen und Mobilität wichtig. Tatsächlich haben sich die Prides in Ostdeutschland, wie beispielsweise die Queer Pride Dresden, sehr viel genauer mit der Bedrohung durch Neonazis, durch die Polizei oder queerfeindliche Lokalpolitik auseinandergesetzt. Gegenwehr können wir in dem Fall von Sachsen lernen.
Das Gespräch führte Nils Becker