Über Grenzen hinweg
27. Januar 2021
Neue Studie zum Widerstand gegen den Faschismus – mit Lücken
Es ist eine erfreuliche Tatsache, dass der europäische Widerstand gegen den Faschismus bis heute jüngere Historiker aus verschiedenen Ländern bewegt. Im Rahmen eines längerfristig angelegten Forschungsprojekts unter dem Titel »Kämpfer über Grenzen hinweg« legten 2020 Wissenschaftler aus knapp einem Dutzend Ländern ihre -Studien vor. Interessant ist ihr zeitlicher Fokus, den sie auf die Periode von 1936 bis 1948 legen. Begründet wird dies mit der Bedeutung des transnationalen Charakters des Spanischen Bürgerkrieges, als sich Menschen aus ganz Europa und selbst aus den USA zur Verteidigung der Spanischen Republik auf den Weg machten. Ihre Motivation war sehr vielfältig, von überzeugten Kommunisten bis hin zu Abenteurern, die im Rahmen des gemeinsamen Kampfes an politischer Überzeugung gewonnen haben. Der Blick der Autoren reicht auch nicht nur bis zum 8. Mai 1945. Sie betrachten, ohne auf Einzelheiten einzugehen, die Auswirkungen des beginnenden Kalten Krieges. So kam es in Griechenland und Polen zu Bürgerkriegen, in die Menschen aus dem Widerstand involviert waren. Beleuchtet wird auch das Handeln von Widerständlern, die nach Palästina gingen und dort für das zionistische Projekt der Gründung des Staates Israel kämpften.
Transnational ersetzt international
Zum Leitbegriff machen die Autoren nicht Internationalismus, sondern transnationalen Widerstand. Ihre Begründung: »Erstens beinhaltet er die Wege, die die Widerstandskämpfer einschlugen, die sie dazu brachten, außerhalb ihres Heimatlandes Widerstand zu leisten. Zweitens beinhaltete er transnationale Begegnungen – Treffen und Zusammenarbeit mit Menschen unterschiedlicher nationaler Herkunft. Drittens, in seiner wichtigsten Form, ermöglichte er Erfahrungen mit transnationalem Widerstand, die in gewisser Weise das Denken, die Praxis und die Identität der Widerstandskämpfer veränderten.«
Diese Perspektive formulieren sie in Abgrenzung früherer Veröffentlichungen, die aus ihrer Sicht entweder einem nationalen Widerstands-Narrativ verpflichtet waren oder den Internationalismus als kommunistischen Widerstand behandelt hätten. Es geht ihnen um ein »re-writing«, also eine Neuschreibung der Geschichte ohne Geschichtsrevisionismus. Für die Autoren sind die politische und gesellschaftliche Vielfalt der Beteiligten, ihre jeweils individuelle Sozialisation und die daraus abgeleitete Motivation von Bedeutung. Und so behandeln die Texte die gemeinsamen Kampferfahrungen in den Internatio-nalen Brigaden sowie die Internierung in den französischen Lagern, den italienischen Lagern und den deutschen Kriegsgefangenenlagern als »Schmelztiegel des transnationalen Widerstands«. Ein sehr spannendes Kapitel beschreibt die transnationalen Erfahrungen jüdischer Widerstandskämpfer in Europa. Dieser Beitrag erweitert die schon bestehenden Kenntnisse über diesen Widerstand. Überraschend ist jedoch, dass die Verfasser die grundlegende Studie von Hermann Langbein mit keinem Wort erwähnen.
Als Gegenperspektive zu den nationalen Narrativen der Widerstandsgeschichte behandeln die Verfasser die drei großen Aufstände vom Sommer 1944 in Warschau, der Slowakei und Paris. Während in der antifaschistischen Publizistik die Befreiung von Paris und der Slowakische Nationalaufstand schon immer als internationalistische Projekte, dargestellt wurden, sehen die Verfasser auch im Warschauer Aufstand einen transnationalen Charakter, weil Menschen mit etwa 15 verschiedenen Nationalitäten in den Reihen und an der Seite der Heimatarmee kämpften.
Quellen bleiben ungenutzt
So interessant dieser neue Ansatz ist, deutliche Defizite sind nicht zu übersehen. Das hat etwas mit der Arbeitsgruppe zu tun, die sich vor allem im akademischen Milieu unterschiedlicher Länder bewegt. So fehlen sämtliche Bezüge zu langjährigen verdienstvollen Forschungen und Veröffentlichungen der antifaschistischen Veteranenverbände und der mit ihnen verbundenen Gedenkeinrichtungen wie zum Beispiel das Museum des Slowakischen Nationalaufstandes in Banska Bystriza. Selbst das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und die Gedenkstätte Mauthausen sucht man im Verzeichnis der benutzten Archive vergeblich.
Mehr als bedauerlich ist zudem die vollständige Ignoranz gegenüber den substanziellen Forschungen der Historiker der DDR, von denen – in der mehrere hundert Titel umfassenden Bibliographie – zwei Titel zu finden sind, eines zum Camp Vernet, das andere zum Strafbataillon 999. Selbst der internationalistische Widerstand im KZ Buchenwald, der mit der Bildung einer internationalen Militärorganisation bei der Rettung von über 20.000 Häftlingen eine zentrale Rolle gespielt hat, kommt in der Studie nicht vor. Die vorliegende Aufsatzsammlung bietet interessante neue Perspektiven auf die Thematik, ein Standardwerk wird es sicherlich nicht.