Hang zum Autoritären
5. Februar 2021
Langzeitstudie beschreibt steigende Unzufriedenheit mit Demokratie
Zum zehnten Mal ist die Leipziger Mitte-Studie über diskriminierende Einstellungen in der Gesellschaft erschienen. Sie knüpft an die Bielefelder Heitmeyer-Studien der 80er Jahre an und nimmt die »Mitte« der Gesellschaft in den Fokus. Die in der Studie festgestellte weite und stabile Verbreitung diskriminierender Einstellungen in der Gesellschaft als Ganze und nicht an den extremen Rändern, ist die Hauptgefahr für die Demokratie. Diese Erfahrung machen gerade Politik und Staat mit den Querdenkern, deren Verhalten sie nur schwer deuten können. Seit 2016 heißt die Leipziger Studie, die von der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung unterstützt wird, Autoritarismus-Studie. Sie zeigte spätestens 2016 unter dem Titel »Die enthemmte Mitte« eine zunehmende Polarisierung und Radikalisierung der antimodernen und autoritären Milieus, die in der Mitte der Gesellschaft verortet wurden. Diese Radikalisierung manifestiert sich in steigender Gewaltbereitschaft, durch Legitimationsverlust der demokratisch verfassten Gesellschaft und die Abwendung bestimmter Milieus von ihr.
Die Flucht ins Autoritäre stößt in den letzten Jahrzehnten auf eine zunehmende Liberalisierung, die dem entgegen wirkt. Die Emanzipation von Frauen, Schwulen und Lesben, von Kindern und Migranten hat die 90er Jahre maßgeblich geprägt. Dies fand in gesetzlichen Änderungen seinen Niederschlag, als 1997 die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wurde, im Jahr 2000 Menschenrechte auch für Kinder anerkannt wurden, das Staatsbürgerrecht vom Abstammungsprinzip abrückte und 2017 die Ehe für alle gesetzlich verankert wurde. Die neue von Oliver Decker und Elmar Brähler herausgegebene Autoritarismus-Studie heißt »Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität«. Sie zeigt insgesamt eine gestiegene Demokratieunzufriedenheit, die aber regional unterschiedlich ausfällt und im Osten besonders deutlich wird.
Der Studie ist aber auch zu entnehmen, dass Demokratiezufriedenheit gestärkt werden kann, wenn Demokratie als gestaltbar erlebt wird. Bürgerinnen und Bürger stoßen jedoch immer wieder auf wirtschaftliche und soziale Zwänge eines entfesselten Kapitalismus mit seinem radikalisierten Wettbewerbsdenken, dem sie unterworfen sind und die man auch autoritär nennen könnte. Erscheint der Meinungsstreit lästig statt konstruktiv, wächst kaum Begeisterung für Pluralismus, Liberalität und aktives Mittun. Zugleich verbleiben ethnozentristische Einstellungen, Chauvinismus und Rassismus in der Gesellschaft auf hohem Niveau. Gestiegen ist der Glaube an Verschwörungsmythen. Antisemitismus verstärkt sich mit latenten Werten von 31 Prozent im Osten und 23 Prozent im Westen etwa in der Unterstellung, dass der Einfluss der Juden auch heute noch zu groß sei. Alle Dimensionen des Rechtsextremismus treten in Verbindung mit Antifeminismus und Sexismus auf. Mit dem apokalyptischen Sehnen wird bei vielen nicht nur das Ende der bürgerlichen Demokratie ausgedrückt, sondern auch die Hoffnung auf eine Erneuerung der »völkischen Einheit«, die Hoffnung auf einen neuen faschistischem Führer, so die Autoren der Studie schon im Vorwort.