Erweckungsbewegung
8. Februar 2021
»Querdenken«: Wo die extreme Rechte weiter freie Hand hat
Den großen Showdown der »Querdenken«-Bewegung sollte es zum Jahreswechsel in Berlin geben. Gerechnet wurde mit ähnlichen Bildern wie am 7. November in Leipzig oder am 18. November in der Bundeshauptstadt. Zehntausende hatten sich zu bunt-braunen Massenevents getroffen und waren sich eines großen öffentlichen Interesses gewiss. Es hieß immerhin, gegen die »abgewirtschaftete Merkel-Diktatur«, die »DDR 2.0« oder das »neue Ermächtigungsgesetz« aufzubegehren. Man wähnte sich insbesondere in Leipzig im Einklang mit der »friedlichen Revolution« vom Herbst 1989. Andernorts gab es Vergleiche mit Anne Frank oder den Geschwistern Scholl – darunter geht es nicht. Wenn in den kommenden Wochen und Monaten viele vor die Frage gestellt werden, ob sie sich gegen die Seuche impfen lassen, dürfte der mit dem Wort »ungeimpft« versehene »Gelbe Stern« erneut zum perfiden Bekenntnis dieser in weiten Teilen auch antisemitischen Bewegung werden.
Die Veranstaltungen zu Silvester fielen, aufgrund eines generellen Versammlungsverbots und eines speziellen nur für »Querdenken«, ins Wasser. Begründet wurden diese mit prognostizierten Verstößen gegen den Infektionsschutz und polizeilichem Notstand. Angekündigt worden waren die Demonstrationen am 30. und 31. Dezember unter dem Motto »Willkommen 2021 – das Jahr der Freiheit und des Friedens«. Michael Ballweg, das bundesweite Gesicht der »Querdenker« aus Stuttgart, hatte während der Festtage verkündet, bis auf weiteres keine Demos mehr anzumelden. Die Berliner Struktur schloss sich dem an. Über die Gründe für diesen Schritt ist viel Raum für Spekulationen. Da wäre zum einen das Ansehen des Obergurus selbst. So gab es Berichte über lukrative Geschäftsmodelle der Corona-Leugner:innen, aus denen sich in den letzten Monaten große Summen abschöpfen ließen. Nicht nur Ballweg zog daraus seine Pfründe. Typisch ist das Sammeln von Spenden auf unkontrollierte Privatkonten von Aktiven der »Querdenken«-Bewegung. Ob sich mit diesem Image weitere Unterstützer*innen gewinnen lassen? Ein anderer Grund für die Absage dürfte gewesen sein, dass die behördlichen Verbote die Berliner »Freiheits«party und die erhofften Bilder mit internationaler Beachtung haben fraglich werden lassen. Polizeiliche Verbote hatten die Proteste im Frühjahr noch angefeuert, während sie nun zu massiver Demobilisierung beitrugen. Obwohl der harte Kern weiter nach Berlin trommelte, zogen viele auf genehmigte Versammlungen in Stuttgart und Umgebung. Eine größere Anzahl kam nirgends zusammen.
Die politisch Verantwortlichen in den Landesregierungen sowie die Polizeiführungen in Leipzig und Berlin hatten wegen der Geschehnisse am 7. und 18. November auch bundesweit Kritik einstecken müssen. Zur Erinnerung: Zurückhaltung war in Sachsen und der Bundeshauptstadt im Umgang mit den »Querdenkern« oberste Prämisse, Auflagenverstöße blieben so gut wie ohne Konsequenzen. Die zwei Hundertschaften, die am 7. November am Leipziger Innenstadtring eingesetzt waren, wurden durch die Massen schnell beiseite geschoben – über 20 solcher Einheiten waren eigentlich in die Stadt beordert worden. Besonders in Sachsen funktionierte die Aufgabenverteilung zwischen rechten Hooligans, die in den vorderen Reihen die Auseinandersetzung mit Polizei und Pressevertreter:innen suchten, und dem Rest der Demonstrant*innen wie geschmiert. Die Wahrnehmung, mit »Keine Gewalt«- und »Wir sind das Volk«-Schlachtrufen der Staatsmacht die Stirn bieten zu können, tat der Stimmung und dem Zusammengehörigkeitsgefühl zusätzlich gut. Als in Berlin am 18. November nach Stunden des Gewährens von Verstößen die Ankündigung durch die Polizei erfolgte, dass nun geräumt werden solle, war Partystimmung auf den Straßen und das Gejohle groß – es folgte schließlich ein wenig Geschubse und milder Regen durch einen Wasserwerfer. Danach setzte offenbar ein Umdenken ein und es wurde eine härtere Gangart beschlossen.
In der jüngsten Nummer der antifaschistischen Zeitschrift der rechte rand werden die in Leipzig versammelten Verharmloser*innen und Leugner*innen der Pandemie zutreffend als »Mischung von Thor Steinar bis Rudolf Steiner« bezeichnet. Nicht übersehen werden sollte, wer auf derlei Demos alles mitmischt. Neben Verschwörungsgläubigen und Esoteriker*innen waren das Reichsbürger*innen, Nordkreuz-Anhänger*innen, Aktive aus dem früheren NSU-Terrornetzwerk, militante Nazikampfsportler:innen und Anhänger*innen von QAnon. Das EXIF-Recherchekollektiv hat das in einem Beitrag für die Winterausgabe des Antifaschistischen Infoblatts (AIB) zusammengetragen. Das Resümee von EXIF: »Für viele funktioniert ›Querdenken‹ als eine Erweckungsbewegung und die extremen Rechten haben darin freie Hand«. Dieser Eindruck drängt sich ebenso beim Blick ins Internet auf. Das lukrative Geschäftsmodell ist auch eines von Youtube-Trollen und rechten Medien. Die Reichweite von einschlägigen Messenger-Gruppen bei Telegram oder WhatsApp ist enorm. Selbst wenn die Straßenmobilisierung durch die Silvester-Verbote einen Dämpfer bekommen hat, wird die Dynamik im virtuellen Raum anhalten.
Der Hamburger Neonazikader Thomas »Steiner« Wulff am 18. November bei der Querdenken-Demo in Berlin.
Foto: christian-ditsch.de
Weitere Informationen zu einzelnen Akteuren auf den Corona-Demonstrationen: noquerdenken.noblogs.org