Ein Erbe der Nazijustiz
7. Januar 2022
Zur Geschichte des sogenannten Radikalenerlasses
»Le berufsverbot« und »the berufsverbot« fanden in der Mitte der 1970er Jahre als Fremdworte Eingang in französische und englische Wörterbücher. Auch der internationale Charakter der Proteste gegen den Radikalenerlass offenbarte das weit verbreitete Gefühl: »Die Deutschen legen wieder los.«
Dass der Radikalenerlass ein staatliches Mittel war, um Jagd auf Linke zu machen, während Rechte unbehelligt blieben, ist bekannt. Weniger präsent in der Öffentlichkeit ist da schon der Umstand, dass die Richter, die in den 1970er Jahren auf (vorwiegend) junge Linke Jagd machten, zu einem guten Teil selbst als Täter an der NS-Unrechtsjustiz beteiligt gewesen waren. Fast nie aber wird beleuchtet, dass die gesetzlichen Grundlagen, mit denen da Jagd auf angebliche »Verfassungsfeinde« gemacht wurde, selbst der Nazijustiz entstammen.
Das Modell des deutschen Berufsbeamtentums ist international einzigartig. Auch die Westalliierten hatten lange gezögert, die Wiederbegründung dieser sehr deutschen Tradition in der neu zu gründenden BRD zuzulassen. Robert d’Harcourt, französischer Germanist und Mitglied der Résistance, hielt im Auftrag der Alliierten in einem Gutachten fest: »Das deutsche Beamtentum arbeitet mit beneidenswerter Effizienz, allerdings im Unrecht genauso wie im Recht. Es hat nichts anderes gelernt, als sich einfach einem Räderwerk gleich zu drehen.« In wesentlichen Zügen ist das deutsche Berufsbeamtentum im Kaiserreich entstanden. Zentrale Begriffe darin orientieren sich an historisierenden Rückgriffen auf das Mittelalter: Dienstherr und Beamte stehen sich wie einst im Lehenswesen in einem Schutz- und Treueverhältnis gegenüber.
Die »Pflicht zur Verfassungstreue« hingegen ist direkt in einem Paragraphen geregelt, der auf das erste große »Säuberungsgesetz« zurückgeht, das die Nazis im Mai 1933 durchsetzten. Der Historiker Saul Friedländer fasste die Stoßrichtung des Gesetzes so zusammen: »Dieses Gesetz zielte in seiner allgemeinsten Intention darauf, die gesamte Regierungsbürokratie umzugestalten, um ihre Loyalität gegenüber dem neuen Regime sicherzustellen. Seine Ausschließungsmaßnahmen, die für mehr als zwei Millionen staatlicher und städtischer Beschäftigte galten, waren gegen die politisch Unzuverlässigen, hauptsächlich Kommunisten und andere Gegner der Nationalsozialisten, und gegen Juden gerichtet.«
Wörtlich hieß es im Gesetzestext von 1933, nicht im Staatsdienst zu dulden seien Beamte, »die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten«. In der bundesrepublikanischen Umformulierung lautete der Text dann: Beamter darf nur sein, »wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt«. Das – so könnte mensch meinen – ist ein Unterschied ums Ganze: Hier der »nationale Staat«, dort die »freiheitlich demokratische Grundordnung«.
Tatsächlich liegt die nationalsozialistische Prägung dieses Gesetzes weniger in seiner inhaltlichen Bestimmung, sondern vielmehr in der formalen Bestimmung des »jederzeit Gewähr-Bietens«. Dieses beinhaltet nämlich zweierlei: zum einen die Gesinnungsprognose, die nicht auf belegbare Taten abhebt, sondern auf eine innere Haltung, die den Betreffenden künftig vielleicht erst zu Taten veranlassen könnte. Zum Zweiten und daraus folgernd die Beweislastumkehr: Begründete Zweifel des Dienstherren genügen, einen Beweis muss er nicht antreten. Es liegt vielmehr am Staatsdiener, jeden geäußerten Zweifel aus der Welt zu räumen. Das ist nun eine Rechtskonstruktion, die dem, was üblicherweise als Standard bürgerlich-demokratischer Rechtsstaaten gilt, erkennbar zuwiderläuft.
An dieser Rechtskonstruktion liegt es auch, dass ein weiterer zentraler Rechtsbegriff vollkommen unbestimmt bleibt: der des »Verfassungsfeindes«. Geprägt wurde er gegen Ende der Weimarer Republik von Carl Schmitt, dem späteren Kronjuristen der Nazis.
Jede Verfassung habe demnach grundlegende Prinzipien, einen werthaften normativen Verfassungskern, der nicht zur Disposition demokratischer Politik stehe und deswegen nicht verhandelbar sei. Wer diesen inhaltlich bestimmten Verfassungskern gesinnungsmäßig ablehne oder politisch bekämpfe, werde zum Verfassungsfeind, auch wenn er sich formal legaler Mittel bediene. Das mutet grotesk an, bedenkt man, dass der Autor nur wenige Jahre später den neuen nationalsozialistischen Machthabern zujubelte. Für Schmitt jedoch ist das nur konsequent: Die Treue zum Staat ist für ihn in letzter Konsequenz die Treue zum Souverän, der sich gerade dadurch erweist, dass er nicht an kleinliche Gesetzesvorgaben gebunden, sondern in der Lage ist, Menschen, die er zu Feinden erklärt, außerhalb der Rechtsordnung zu stellen.
Aber auch die konkrete Rechtsprechung der 1970er Jahre war nationalsozialistisch geprägt.
Wenn zum 50. Jahrestag die längst überfällige Rehabilitierung der Betroffenen gefordert wird, täte insbesondere die VVN gut daran, zum Thema zu machen, dass das mit den Berufsverboten verbundene Unrecht schon in den gesetzlichen Grundlagen des Radikalenerlasses präsent ist. Die Abschaffung dieser gesetzlichen Grundlagen wäre dazu angetan, die Verheerungen, die die Berufsverbote in der demokratischen Kultur angerichtet haben, zu lindern.
Michael Csaszkóczy war in den Jahren 2003 bis 2007 in Baden-Württemberg wegen seines Engagements in antifaschistischen Gruppen (u. a. der VVN) mit Berufsverbot belegt. Im Jahr 2007 wurde diese Maßnahme vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim als Grundrechtsverletzung verurteilt. Seitdem arbeitet er wieder als Lehrer.