Schritte zur Macht
7. November 2022
Teil 2 von 5 der Reihe: Der Weg ins Dritte Reich
Als im Herbst 1932 der gesellschaftliche Widerstand der Arbeiterorganisationen und anderer demokratischer Kräfte gegen Franz von Papens »Kabinett der Barone« und die Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitende Bevölkerung zu einer erneuten Regierungskrise führte, löste Paul von Hindenburg im Oktober 1932 den Reichstag auf und setzte Neuwahlen an. Das Ergebnis entsprach jedoch in keiner Weise den Vorstellungen der wirtschaftlich und politisch Mächtigen. Die NSDAP verlor zum ersten Mal über eine Million Wählerstimmen und 15 Prozent der Mandate, wobei die völkisch-nationalistischen Parteien (DNVP und DVP) sich stabilisieren konnten. Dramatischer aus Sicht der reaktionären Kräfte war jedoch die Tatsache, dass die KPD mit knapp sechs Millionen Wählerstimmen deutlich gestärkt aus diesen Wahlen hervorging.
Dieses Ergebnis veranlasste im November 1932 eine Gruppe von Industriellen und Bankiers sowie Großagrariern, sich in einer Eingabe an Hindenburg für die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler auszusprechen. In manchen Veröffentlichungen kann man lesen, es seien doch nur wenige Großunternehmer gewesen. Aber die Zusammensetzung der Gruppe war beeindruckend. Zu ihnen gehörte der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der Aufsichtsratsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke Fritz Thyssen, der Direktor der Commerzbank Friedrich Reinhart, der auch Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer war, der Generaldirektor der Wintershall AG August Rosterg, der Kölner Bankier Kurt Freiherr von Schröder, der auch im Aufsichtsrat der I. G. Farben AG saß, sowie als Vertreter der Junker und Großagrarier Robert Graf von Keyserlingk-Cammerau, Joachim von Oppen und Kurt Gustav Ernst von Rohr-Manze.
Es war ein illustrer und gleichermaßen wirtschaftspolitisch einflussreicher Kreis, der sich mit folgender Erklärung zu Wort meldete: »Der Ausgang der Reichstagswahl vom 6. November d. J. hat gezeigt, dass das derzeitige Kabinett, dessen aufrechten Willen niemand im deutschen Volke bezweifelt, für den von ihm eingeschlagenen Weg keine ausreichende Stütze im deutschen Volke gefunden hat (…). Gegen das bisherige parlamentarische Parteiregime sind nicht nur die Deutschnationale Volkspartei und die ihr nahestehenden kleineren Gruppen, sondern auch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei grundsätzlich eingestellt (…). Es ist klar, dass eine, des öfteren wiederholte, Reichstagsauflösung mit sich häufenden, den Parteikampf immer weiter zuspitzenden Neuwahlen nicht nur einer politischen, sondern auch jeder wirtschaftlichen Beruhigung und Festigung entgegenwirken muss. (…) Wir bekennen uns frei von jeder engen parteipolitischen Einstellung. Wir erkennen in der nationalen Bewegung, die durch unser Volk geht, den verheißungsvollen Beginn einer Zeit, die durch Überwindung des Klassengegensatzes die unerlässliche Grundlage für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft erst schafft. Wir wissen, dass dieser Aufstieg noch viele Opfer erfordert. Wir glauben, dass diese Opfer nur dann willig gebracht werden können, wenn die größte Gruppe dieser nationalen Bewegung führend an der Regierung beteiligt wird.
Die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe wird die Schlacken und Fehler, die jeder Massenbewegung notgedrungen anhaften, ausmerzen und Millionen Menschen, die heute abseits stehen, zu bejahender Kraft mitreißen.« (Quelle: Büro des Reichspräsidenten, Abt. B/III, Bd. 47, Bl. 259/260)
Mit dem Hinweis auf »Schlacken und Fehler« reagierten die Vertreter einflussreicher Kapitalkreise auf die Bedenken Hindenburgs gegen den »kleinen Gefreiten« Hitler und seine SA, deren Terror gegen die Arbeiterorganisationen man zwar dankbar akzeptierte, deren martialisches Auftreten und insbesondere deren Ansprüche, das zukünftige »Volksheer« darzustellen, aber bei der Reichswehr auf Bedenken stieß.
Anders als die Initiatoren der Eingabe erhofften, folgte Hindenburg in dieser Situation noch nicht dem Vorschlag aus der Wirtschaft. Er entschied sich zwar zur Ablösung von Franz von Papen und dessen »Kabinett«, aber seine Berater favorisierten stattdessen die direkte Einbindung der Reichswehr in Person des vormaligen Reichswehrministers General Kurt von Schleicher. Im Sinne von Hindenburgs Verständnis einer »Volksgemeinschaft« strebte dieser eine »Querfront« an – mit rechten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern sowie dem »linken« Flügel der NSDAP um die Brüder Otto und Gregor Strasser, der gleichzeitig die SA repräsentierte, um seine autoritäre Führung zu stabilisieren. Schleichers Versuch scheiterte jedoch am Führungsanspruch Hitlers, der jegliche Koalition ohne ihn als Reichskanzler torpedierte. Als dieses Querfrontkonzept erkennbar nicht zum Tragen kam, forderte Hindenburg Schleicher Ende Januar 1933 zum Rücktritt auf.
Das war das politische Ende des ehemaligen Reichswehrministers, der sich 1933 ins Privatleben zurückzog. Der Hass der NSDAP-Führung verfolgte ihn aber weiterhin. Hitler ließ ihn am 30. Juni 1934 im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches ermorden.
Der Weg ins »Dritte Reich« begann nicht am 30. Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, sondern lange vorher in der Weimarer Zeit, als mit dem Abbau sozialer und politischer Rechte die Voraussetzungen für eine faschistische Krisenlösung geschaffen wurden. In fünf Ausgaben der
antifa soll an einige dieser Markierungspunkte erinnert werden, Voraussetzungen zur Machteinsetzung und zur Machtetablierung der faschistischen Herrschaft in Deutschland. Der erste Teil dieser Serie erschien in der Ausgabe September/Oktober.