Zur Weltveränderung
29. April 2023
Feministische Theorie als Ansage für den Umsturz. Ein Essayband vom Kollektiv MF 3000
Titel und Untertitel dieses Buches zeigen den kämpferischen Aspekt, der sich durch den kleinen Band zieht, bereits auf. Angelehnt an ein Zitat von Bertolt Brecht wird nicht das Individuum, sondern das unbestimmte feministische Kollektiv angesprochen, denn politische Kämpfe gelingen nur gemeinsam. Das Kollektiv MF 3000 verbindet dabei unterschiedliche linke Perspektiven, von Gewerkschafts- über Parteipolitik hin zu autonomer Organisierung.
Herausgekommen ist ein schmaler Band, der grundlegende Begriffe von Arbeit über Öffentlichkeit, Sexualität und Erziehung erörtert und einordnet. Geteiltes Moment des gemeinsamen Erlebens sind dabei die Gewalterfahrungen und die Angst vor Gewalt, die Frauen und (gender-)queere Personen erleben. Diese Erfahrungen und Ängste sind je nach gesellschaftlicher oder rassistischer Zuweisung unterschiedlich, und doch geht es bei all diesen Erfahrungen um Dominanz aufgrund der Vorstellung einer Männlichkeit, die Weiblichkeiten abwertet. Erstarkender Antifeminismus und geschlechtsspezifische Gewalt bis hin zu Femiziden sind Ausdruck dieses hierarchischen Geschlechterverhältnisses.
Wer wie arbeitet, wessen Arbeit als »Arbeit« anerkannt wird oder nicht, ist auch gekoppelt an Geschlechterverhältnisse. Die Autor*innen zeigen anhand einfacher Beispiele, wie das Zusammenspiel von Produktionsarbeit und Sorgearbeit dem Kapitalismus dient, und benennen die doppelte Ausbeutung von Frauen im Kapitalismus. Das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit wird dabei machtkritisch beleuchtet: Wem nützt es politisch und ökonomisch, wenn bestimmte Tätigkeiten ins Private geschoben werden?
Auch die Auseinandersetzung um Sexualität wird als Teil politischer Kämpfe eingeordnet. Aktuelle (pop)kulturelle Verhandlungen werden dabei ebenso aufgezeigt wie die Kämpfe um die Auflösung einer binären Geschlechterordnung und die staatliche Kontrolle über gebärende Körper anhand von Schwangerschaftsabbrüchen und Pränataldiagnostik. Frauen und Queers werden dadurch zu Objekten gemacht, statt ihnen eigene Handlungsmacht als Subjekte zuzusprechen. Dabei ist dieser Subjektstatus Grundlage dafür, Machtverhältnisse zu hinterfragen und gegen die Gewaltförmigkeit gesellschaftlicher Normierung vorzugehen. Dabei betonen die Autor*innen immer wieder, dass Geschlecht, Klassenherkunft, Behinderungen und Rassismus Einfluss darauf haben, welchen Spielraum Menschen dabei haben, ihre Handlungsfähigkeit zu erweitern. Hier setzt kollektive Organisierung mit anderen Frauen und Queers an – Unzufriedenheit über die Art, wie die Welt eingerichtet ist, kann ein Motor zu Veränderung sein, indem diese nicht allein, sondern in der Gruppe verhandelt und nach Möglichkeiten gesucht wird, Veränderung herbeizuführen. Wo sich gegenseitig Mut gemacht wird und Hoffnung geteilt. Wo gemeinsam Politik in unterschiedlichen Formen gemacht wird, ob am Küchentisch, im Jobcenter oder mit Kolleg*innen.
Und so ist dieses Essay eine Ansage für einen feministischen Umsturz. Es stellt dabei klar die Notwendigkeit feministischer Organisierungen und Kämpfe in den Mittelpunkt und ist so kein weiteres Theoriebuch, sondern eine Aufforderung zum Handeln, sich zusammenzutun, sich zu organisieren. Und dies in verständlicher Sprache, die die Zugänglichkeit zum Thema erhöht, ohne an analytischer Schärfe zu verlieren.
Die MF-3000-Autor*innen Alex Wischnewski, Bettina Gutperl, Cordula Trunk, Ines Schwerdtner, Jen Funke-Kaiser, Kerstin Wolter und Lisa Mangold haben gemeinsam mit der Philosophin Frigga Haug feministische Theorie diskutiert und davon ausgehend ein Buch geschrieben, das sie sich selbst zum Lesen gewünscht hätten, als sie jünger waren. Das ist ihnen hervorragend gelungen.