Sie wittern die Macht
14. September 2023
Zum AfD-Parteitag im Juli und August in Magdeburg
Weniger Hinterzimmeratmosphäre geht nicht: Das Treffen der 600 Delegierten zum Magdeburger Bundesparteitag der AfD am letzten Juli- und ersten Augustwochenende wurde komplett (rund 50 Stunden) live übertragen auf Phoenix, dem Nachrichtenkanal des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und bleibt via youtube auch so verewigt. Die Moderatorenstimme klärt derweil in gedämpfter Form – als wolle man die Delegierten nicht bei ihrer wichtigen Arbeit stören – darüber auf, worum es gerade geht. Wichtige Funktionäre wurden in den Pausen ausgiebig interviewt und konnten ungestraft sagen, was sie sagen wollten.
Das theoretische Wissen, dass es sich bei der AfD um eine Massenpartei handelt, bekommt eine bildhafte Entsprechung. Man nimmt wahr, dass diese Partei eher von Männern bestimmt wird, die älteren dominieren, die jüngeren wollen auf Teufel komm raus schneidig aussehen. Die Stimmung ist entspannt, großer Streit findet zumindest auf der Bühne nicht statt. Die Zeiten fieser interner Auseinandersetzungen mit eskalierenden Geschäftsordnungsdebatten und platzenden Tagesordnungen sind erst einmal vorbei. Man sieht sich auf der Siegerstraße und hat den Duft der Macht in die Nase bekommen. Das diszipliniert, denn bekanntlich mögen Wähler*innen keinen parteipolitischen Dauerstreit.
Der Führer Björn Höcke wird umringt. Er lacht, und er hat Grund dazu, denn der Kampf um die Hoheit in der Partei ist entschieden, seine Taktikpläne gehen seit einiger Zeit gut auf. Wer heute noch kein Höcke-Fan ist, aber doch noch an die von der Partei aufgerissenen Fleischtöpfe will, wird sich hüten, etwas Falsches zu sagen. Erstmalig kann man von einer funktionierenden Arbeitsteilung an der Spitze sprechen. Gibt Alice Weidel die eiskalte, aber telegene Frontfrau, hält Tino Chrupalla die Bundestagsfraktion menschelnd zusammen, und Höcke gibt den Tribun und Strippenzieher. Dabei zeigt Chrupalla im – wo auch sonst – Sommerinterview des ZDF Ermüdungserscheinungen und will Höcke als Kanzlerkandidaten nicht ausschließen.
Die Listenaufstellung zur Europawahl verlief gleichfalls vergleichsweise konfliktfrei. Wie erwartet wird die Liste vom Höcke-Mann Maximilian Krah angeführt. Der wird selbst im Rahmen der EU-Parlamentsfraktion »Identität und Demokratie« als zu rechts wahrgenommen, hatte er sich doch im französischen Präsidentschaftswahlkampf für den Brachialrassisten Éric Zemmour engagiert und war dafür suspendiert worden. Im gleichen Kontext genannte Korruptionsvorwürfe schadeten ihm ebenfalls nicht, warum auch? Niemand von der 35köpfigen Wahlliste gibt einen Cent auf die Integrität des EU-Parlaments, das man ausweislich des Entwurfs des Europawahlprogramms explizit abschaffen will. Krah bezeichnet sich ausdrücklich als einen »Rechten« und spielt sich auf TikTok als Vorbild für junge Männer auf, die sich wundern, dass sie keine Freundin abbekommen.
Krahs Bewerbungsrede – »deutsche Märchen, deutsche Lieder, …« – war der Auftakt für eine Abfolge von Selbstdarstellungen, die von faschistischen Versatzstücken verschiedener Diskursgenerationen nur so wimmelten. Höcke selbst setzte mit »Die EU muss sterben, damit Europa leben kann!« die nächste Naziparole auf die Rennbahn.
Details des Europawahlprogramms sind letztlich nicht so wichtig. Die explizite Forderung nach Auflösung der EU wurde taktisch zurückgezogen, bleibt aber implizit bestehen, denn die Forderung nach einem neuen »Bund der europäischen Nationen« setzt die Zerstörung des bestehenden voraus. Insgesamt zeichnet sich das Papier durch deutschtümelnde Aggressivität und Hochmut aus und ignoriert schlicht, was nicht ins Weltbild passt: Wenn es nach der AfD geht, gibt es den Klimawandel nicht. Es wird versprochen, dass man munter weiterdieseln kann.
Aber Angst hat die AfD bei ihren Parteitagen trotzdem. Es ist die Angst vor massiven und konsequenten Protesten, vor Bildern, die zeigen, dass die Gesellschaft in Wirklichkeit wesentlich vielfältiger und interessanter ist, als es die AfD ertragen kann, dass sie keine strukturelle Mehrheit hinter sich haben. Genau deshalb verkriecht sich die Partei mitten in der Feriensaison an den Rand einer gar nicht so großen Stadt in ein abriegelbares Messezentrum. Das, was sie nicht ertragen kann, ist ihnen aber auf die Pelle gerückt. Über Monate hinweg vorbereitet und von Anfang an wesentlich unterstützt durch die VVN-BdA und »Aufstehen gegen Rassismus«, konnte das Bündnis »Solidarisches Magdeburg« ein Gegenprogramm auf die Beine stellen, das um eine Größenordnung umfangreicher war als beim letztjährigen Parteitag in Riesa. Höhepunkt war eine Gegendemonstration und Kundgebung mit 3.500 Teilnehmer*innen.
Das strategische Ziel, als entschiedener Massenprotest vor Ort und in der »Tagesschau« wahrgenommen zu werden, wurde erreicht. Um Vereinzelung und Resignation ausreichend aufzuheben, reicht das noch nicht, aber es war ein Anfang. Gabi Engelhardt von AgR Chemnitz brachte es auf der Bühne auf den Punkt: »Der weitere Aufstieg der Neonazis und Rassist:innen kann nur durch Konfrontation und Widerstand verhindert werden: auf der Straße und in den Parlamenten, nicht durch Zusammenarbeit.«
Tipps für Unterstützer:innen der »Höcke ist ein Nazi«-Kampagne
Auf Protesten gegen die AfD kann das Zeigen des Spruchs »Björn Höcke ist ein Nazi« dazu führen, dass die Polizei irrtümlich diese Meinungsäußerung beschlagnahmen will. Zur Aufklärung sollte auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 26.9.2019 (2 E 1194/19) und die Verfügung der Staatsanwaltschaft Frankfurt vom Juni 2023 hingewiesen werden. Demnach ist es statthaft, Höcke als »Faschisten« zu bezeichnen. Vielmehr ist die Bezeichnung als Nazi keine Beleidigung, sondern ein an Tatsachen anknüpfendes Werturteil, das durch die in Artikel 5, GG verbürgte Meinungsfreiheit gedeckt ist. Was zu tun ist:
- Ruhig bleiben, sich nicht provozieren lassen
- Träger*innen schützen, indem bspw. VVN-BdA-Aktivist*innen die Verantwortung übernehmen und verhindern, dass von weiteren Beteiligten Personalien aufgenommen werden
- Der Maßnahme widersprechen, Beschlagnahmungsprotokoll verlangen
- Die Versammlungsleitung und Teilnehmende informieren.
- Nach der Aktion eine gemeinsame Auswertung machen und ein Gedächtnisprotokoll anfertigen. Einer polizeilichen Vorladung sollte nicht Folge geleistet werden. Wenn sich die Staatsanwaltschaft meldet, einen Rechtsbeistand hinzuziehen.