Vergessenes Kapitel
5. November 2023
Bündnispolitik: Die »Internationale Antifaschisten-Liga«
Die Etablierung der faschistischen Herrschaft in Italien, das monarcho-faschistische Regime in Bulgarien und das zunehmend gewalttätige Agieren faschistischer Verbände und Kräfte in mehreren europäischen Ländern beschäftigte seit 1922 die Kommunistische Internationale (KI). In einem Referat beschrieb Clara Zetkin im Juni 1923 den Faschismus als eine Bewegung von Hungrigen, Notleidenden, Existenzlosen und Enttäuschten. Ihrem politischen Charakter nach sei diese Bewegung jedoch »der stärks-te, der konzentrierteste, er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick. Ihn niederzuringen ist eine elementare Notwendigkeit. (…) Mit aller Klarheit und Kraft müssen wir verhindern, dass sie (die Faschisten, U. Sch.) Mannschaften stellen für die Gegenrevolution der Bourgeoisie. Soweit wir jene Schichten nicht für unsere Partei, unsere Ideale gewinnen, nicht in Reih und Glied der revolutionären proletarischen Kampfheere ziehen können, muss es uns gelingen, sie zu neutralisieren (…). Sie dürfen uns nicht mehr als Landsknechte der Bourgeoisie gefährlich werden.«
In Deutschland wurde als politische Antwort im Juli 1923 der erste »Antifaschistentag« organisiert. Als praktische Konsequenz aus dieser Debatte entstand – mit tatkräftiger Unterstützung der KI – seit dem Sommer 1923 eine »Weltliga gegen den Faschismus«. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein Informationsblatt, das ab Ende August 1923 erschien, die Chronik des Faschismus.
Erst im Heft 8 (am 7. November 1923) fand sich unter der Überschrift »Gegen den Faschismus! Gegen reaktionäre Schreckensherrschaft und weißen Terror!« der Aufruf zur Gründung einer »Internationalen Antifaschisten-Liga«. Darin wurde betont, dass die faschistische Bedrohung keine Parteifrage mehr sei, sie betreffe alle Schichten der Gesellschaft. Der Faschismus sei »gegen alle politischen Arbeiter-Organisationen, gegen alle Gewerkschaften, gegen die Genossenschaften, sogar gegen die Jugend- und Kindergruppen«. »Alles freiheitliche intellektuelle Leben hört auf, wo die Faschisten zur Macht kommen. Die faschistische Gefahr bedroht heute die ganze Welt, vor allem Deutschland.« Von daher rief man dazu auf, »in allen Ländern antifaschistische Organisationen ins Leben zu rufen«, um die Kräfte »zu einem energischen einheitlichen Kampf gegen den Faschismus zu vereinigen«.
Beeindruckend ist die Unterstützerliste des »Initiativ-Komitees zum Aufbau einer Internationalen Antifaschisten-Liga«. Unterzeichner waren: Clara Zetkin (Deutschland), Henri Barbusse, Henri Guilbeaux, Romain Rolland, Anatol France, André Marty (Frankreich), Dr. Alfons Paquer, George Grosz, Ernst Toller, G. G. L. Alexander, Max Barthel, Willi Münzenberg, Dr. Leo Klauber, Wilhelm Herzog (Deutschland), Edo Fimmen, Henriette Roland Holst, Brommert (Holland), Upton Sinclair (USA), Ture Nermann, Zeth Höglund, Oskar Samuelsen (Schweden), Willi Trostel, Fritz Platten (Schweiz), Eugen Ollaussen (Norwegen), Fritz Koritschoner und Prof. Dr. Karl Grünberg (Österreich).
Als formaler Sitz der »Weltliga« wurde Amsterdam gewählt. Der Sitz der deutschen Sektion war in Berlin.
Am 10. Dezember 1923 fand in Berlin die erste (und einzige) Tagung der »Weltliga gegen Faschismus« statt. Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich, dass 53 Teilnehmer aus 14 Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und die Niederlande, anwesend waren. Auch Sozialdemokraten, Gewerkschafter und bürgerlich-demokratische Kräfte folgten dem Aufruf. Die Teilnehmenden repräsentierten in gewisser Weise die in verschiedenen Ländern bereits bestehenden antifaschistischen Gruppen und Organisationen der antifaschistischen Weltliga.
Nach heutigen Begrifflichkeiten organisierte die »Weltliga« ihre Tätigkeit in den Bereichen: Recherche, Aufklärung und Bündnisarbeit. Es wurde Material über faschistische Organisationen zusammen mit den nationalen Sektionen der »Weltliga« in Österreich, der Tschechoslowakei, Frankreich, Italien, den USA und Skandinavien ausgewertet. Selbst vom Balkan wurden entsprechende Informationen gesammelt. Daraus entstanden Materialien für die alltägliche Agitation. In der Bündnispolitik wurden Kontakte zu linkssozialistischen, radikalen zivilen und intellektuellen Gruppen geknüpft.
Durch eine Änderung in der politischen Debatte innerhalb der KI in Auswertung der Erfahrungen aus Deutschland, wo sich die SPD-Führung als Vollstrecker reaktionärer Politik nicht nur bei der Reichsexekution gegen die Arbeiterregierungen in Thüringen und Sachsen gezeigt hat, wurde dieser politische Ansatz nicht mehr fortgesetzt. Nun galt die Sozialdemokratie als »Bundesgenosse des Faschismus«. Trotz aller Bemühungen von Willi Münzenberg wurde im September 1924 beschlossen, die antifaschistische Weltliga aufzulösen.
Damit endete nach knapp einem Jahr ein Politik-ansatz, der tatsächlich über den Rahmen der Parteipolitik die Grundstrukturen einer antifaschistischen Bündnisarbeit umzusetzen versuchte. Seine politische Zeit war noch nicht gekommen, aber aus heutiger Sicht, sollten diese Erfahrungen und die damals entwickelten Materialien intensiv ausgewertet werden.
Am 29. Juli 1923 findet in Deutschland der erste »Antifaschistentag« statt, in Sachsen und Thüringen sind 150.000 überwiegend sozialdemokratische und kommunistische Arbeitskräfte auf der Straße, trotz Verboten in Berlin etwa 200.000, im Bezirk Halle-Merseburg 30.000, in Nordbayern 18.000, anderswo wird auf geschlossene Räume oder Ausflugslokale ausgewichen. Hauptforderungen sind die Entwaffnung faschistischer Gruppen und der Rücktritt der bürgerlichen Reichsregierung.
Quelle: www.classless.org