Drei Divisionen

geschrieben von Jürgen Wagner

5. November 2023

Deutschlands Beitrag zum neuen NATO-Streitkräftemodell

Im Oktober wurde gemeldet, Deutschland stelle 35.000 Soldat*innen für das neue NATO-Streitkräftemodell zur Verfügung. Es geht um eine schwere Division sowie die Aufstockung der Bundeswehrdauerpräsenz in Litauen.

Bei ihrem Gipfeltreffen im Juni 2022 verabschiedete die NATO unter dem Eindruck des Ukrainekrieges nicht nur ein neues Strategisches Konzept, sondern auch ein neues Streitkräftemodell (New Force Model, NFM). Bis dato wurden im Rahmen der schnellen NATO-Eingreiftruppe »nur« 40.000 Soldat*innen in einem hohen Bereitschaftsgrad vorgehalten, um sie bei Bedarf schnell verlegen zu können. Demgegenüber sieht das NFM nun drei Bereitschaftsgrade vor: 100.000 Soldat*innen sollen innerhalb von nur zehn Tagen in Bewegung gesetzt werden können; bis Tag 30 will die NATO dann in der Lage sein, bis zu 200.000 weitere Armeeangehörige hinterherzuschicken; und bis Tag 180 sollen noch einmal zusätzlich 500.000 mobilisiert werden können.

Truppen bestimmten Regionen zugeordnet

Die entsprechenden Verteidigungspläne, mit denen diese Truppen mitsamt Bewaffnung bestimmten Regionen zugeordnet werden, wurden dann beim letzten NATO-Gipfel in Vilnius im Juli 2023 verabschiedet. Die Details sind zwar geheim, generell sollen nun aber wieder klare geografische Zuständigkeiten existieren, weshalb dementsprechend drei regionale Verteidigungspläne auf dem NATO-Gipfel verabschiedet wurden: »Ein Plan beschäftigt sich mit der Sicherung des hohen Nordens sowie des Atlantikraums, die von Norfolk in den USA aus organisiert werden soll. Das Hauptquartier im niederländischen Brunssum ist für die Umsetzung des zweiten Plans zuständig, der Mitteleuropa vom Baltikum bis zu den Alpen abdeckt. Das dritte, ebenfalls als geheim eingestufte Dokument beschreibt den Schutz von Südosteuropa, inklusive des Schwarzen Meers und des Mittelmeers. Dies soll von Neapel geplant werden«, wusste die Süddeutsche Zeitung.

Konferenz:Deutschland im Kriegszustand?!
24.–26. November, Hepperhalle, Westbahnhofstraße 23, Tübingen
u. a. mit Tobias Pflüger, Pablo Flock, Alexander Kleiß, Jacqueline Andres, Michael Schulze v. Glaßer, Chris Hüppmeier, Susanne Weipert, Claudia Haydt, Martin Kirsch und Jürgen Wagner.
Infos unter: imi-online.de

Konferenz:
Deutschland im Kriegszustand?!
24.–26. November, Hepperhalle, Westbahnhofstraße 23, Tübingen
u. a. mit Tobias Pflüger, Pablo Flock, Alexander Kleiß, Jacqueline Andres, Michael Schulze v. Glaßer, Chris Hüppmeier, Susanne Weipert, Claudia Haydt, Martin Kirsch und Jürgen Wagner.
Infos unter: imi-online.de

Über den gesamten Zeitraum des Kalten Krieges war die Aufgabe der Bundeswehr relativ klar umrissen: Sie sollte der NATO schwere Großverbände für einen möglichen Krieg gegen die Warschauer Vertragsorganisation zur Verfügung stellen. Mit deren Auflösung im März 1991 wurde ein neues Aufgabenprofil gesucht und gefunden: Militärinterventionen gegen technologisch deutlich unterlegene Gegner im sogenannten globalen Süden wurden zur neuen Kernaufgabe der Truppe. Dementsprechend wurden die Großverbände des Kalten Krieges nach und nach aufgelöst und durch mobilere und schnell über lange Strecken verlegbare Einheiten für weltweite Interventionen »out of area« ersetzt. Innerhalb von rund 15 Jahren veränderte sich die Truppe damit grundlegend.

Nachdem sich das Verhältnis zu Russland über die Jahre immer weiter verschlechtert hatte, setzte spätesten mit der Neufassung des Weißbuchs im Jahr 2016 und dann mit der Konzeption der Bundeswehr im Juli 2018 ein erneuter Sinneswandel ein. Von da ab wurde dem Wiederaufbau von Großverbänden wieder eine hohe Priorität eingeräumt. Was dies vor allem für das Heer bedeuten sollte, wurde dann im September 2018 im Fähigkeitsprofil der Bundeswehr mit konkreten Zahlen unterlegt, die die jetzt anvisierten 35.000 Soldat*innen mit damals auf 25.000 geschätzten noch weit unterboten. Die damals schon ambitionierten Pläne wurden im Zuge des neuen -NATO-Streitkräftemodells also ausgebaut und beschleunigt. Bei den ersten beiden Divisionen soll es sich um schwere Einheiten (2025 und 2027) für mögliche Auseinandersetzungen mit Russland handeln, im dritten Großverband (2030) sollen Kräfte für Militärinterventionen im globalen Süden gebündelt werden.

Um möglichst schnell verlegbar zu sein, sollen die neuen Divisionen über eine »Kaltstartfähigkeit« verfügen, das heißt, ihr Ausstattungsniveau muss dafür sogar bei 130 Prozent liegen. Ob dies allerdings auch nur ansatzweise gelingen wird, ist mehr als fraglich. Um nur ein Beispiel zu nennen: Um im Verbund mit anderen NATO-Truppen agieren zu können, benötigt die Bundeswehr unter anderem vor allem in allen Fahrzeugen zehntausende neue abhörsichere und internetfähige Funkgeräte. Diese Funkgeräte wurden zwar bestellt und laufen auch zu, weil sich aber anscheinend niemand Gedanken darüber gemacht hat, dass sie auch eingebaut werden müssen, kommt es nun zu erheblichen Verzögerungen bis 2027, wie das Handelsblatt erfahren hat.

Personell dürfte es eng werden

Auch personell dürfte es eng werden: Ursprünglich plante die Bundeswehr mit einem Aufwuchs von derzeit rund 180.000 auf 203.000 Soldat*innen, schaffte es bisher aber gerade mal, ihren Umfang zu halten. Das könnte sich auch als der neuralgische Punkt für den Aufbau der Litauenbrigade erweisen. Anfangs hieß es aus den Reihen der Bundeswehr, sie wolle für die Brigade auf Freiwilligkeit, garniert mit finanziellen Anreizen, setzen. Spiegel Online berichtete: »Eine Schnellumfrage in den Verbänden, die infrage kämen, machte den Planern wenig Hoffnung. Nur jeder fünfte Soldat gab an, freiwillig an die NATO-Ostflanke ziehen zu wollen.«

Zur Division 2025 soll auch die aufgestockte Bundeswehrpräsenz in Litauen gehören. Das bisherige NATO-Bataillon war mit ungefähr 1.500 Soldat*innen ausgestattet. Im Juni 2023 kam die Ankündigung, das Bundeswehrbataillon werde auf Brigadegröße (4.000 Soldat*innen plus Familien) in Dauerpräsenz aufgestockt. Letzteres unterscheidet diese Präsenz fundamental vom bisherigen und allen anderen Auslandsstationierungen der Bundeswehr. Inzwischen soll das Finanzministerium erste Berechnungen angestellt haben, denen zufolge 1.600 Kindergartenplätze und eine deutsche Schule für 3.000 Schüler*innen erforderlich seien. Als Vorbild gilt die Stationierung US-amerikanischer Soldat*innen in Deutschland.