Warum folgen sie dem Faschismus?
8. September 2024
Vor gut 100 Jahren wurde mit dem Institut für Sozialforschung die Frankfurter Schule begründet
Als vor gut hundert Jahren, im Juni 1924, das Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main die offizielle Arbeit aufnahm, ahnte wahrscheinlich niemand, dass die Gründung einmal Geschichte schreiben würde. Am Anfang stand eine Stiftung von Felix und Hermann Weil. Felix Weil konnte durch das Geld, das sein Vater Hermann Weil durch Weizenhandel in Argentinien verdient hat, ein Leben ohne finanzielle Sorgen führen. Er wurde 1919 kurz vor der Promotion in Tübingen wegen revolutionär-politischen Engagements aus Württemberg ausgewiesen und zog nach Frankfurt. Dort konnte er seine Promotion nachholen. 1923 finanzierte Felix Weil die »Marxistische Arbeitswoche« in Geraberg in Thüringen. An der Tagung nahmen damals führende Marxisten wie Georg Lukács, Karl Korsch oder Friedrich Pollock teil.
Dieses Treffen war die erste Tagung des 1923 per Erlass des preußischen Bildungsministeriums ins Leben gerufenen Instituts. Felix und Hermann Weil erkannten die Bedeutung einer übergreifenden marxistischen Forschungseinrichtung und gründeten eine großzügig ausgestattete Stiftung zur Finanzierung des Instituts. Der erste Direktor wurde Carl Grünberg. Unter seiner Leitung arbeitete das Institut eng mit dem Marx-Engels-Institut in Moskau zusammen.
Der Chronist der Frankfurter Schule, Rolf Wiggershaus, schrieb in seinem bei rororo erschienenen Buch über die Anfangszeit der Frankfurter Schule: »Als der erste Leiter, Carl Grünberg, 1928 durch einen Schlaganfall arbeitsunfähig wurde, hatte er erfolgreich den Marxismus als eine wissenschaftliche Richtung etabliert, die einen Platz an der Universität verdiente wie andere dort vertretene wissenschaftliche Positionen auch« (S. 19).
1930 wurde Max Horkheimer Direktor des Instituts. Unter seiner Leitung fielen zwei grundlegende Entscheidungen. Zum einen öffnete er das Institut für Marxisten, die versuchten, unabhängig von der KPD eine Analyse der Gesellschaft zu erarbeiten, zum anderen bereitete er aufgrund des aufkommenden Faschismus das Institut auf eine -Emigration vor. In Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation, die 1919 auf der Friedenskonferenz von Versailles gegründet worden war, wurde in Genf eine Zweigstelle aufgebaut. Zusätzlich wurden Büros in Paris und London eingerichtet.
Zu denen, die nun bei dem Institut Anschluss gefunden hatten, gehörten der Psychologe Erich Fromm und der Musiksoziologe Theodor Wiesengrund-Adorno. Fromm, der 1900 in Frankfurt geboren wurde, studierte zuerst Soziologie in Heidelberg und wandte sich später der Psychologie zu. In Berlin gehörte er zu einem Kreis marxistischer Psychoanalytiker, die sich regelmäßig zum Gedankenaustausch trafen. 1929 wurde ein Psychoanalytisches Institut gegründet, dass eng mit dem Institut für Sozialforschung verbunden war. Fromm wurde Leiter der Einrichtung und der Sozialpsychologischen Abteilung des Instituts für Sozialforschung.
Adorno war begeistert von der Musik Alban Bergs. Er zog 1924 nach Wien, um sein Schüler zu werden. Enttäuscht von dem Kreis um Berg kehrte Adorno nach Frankfurt zurück und war sich nicht sicher, ob er weiter eine musikalische Karriere anstreben oder sich der Philosophie widmen sollte. Nach seiner Rückkehr nach Frankfurt hatte er engen Kontakt zu Siegfried Kracauer, der als Feuilletonredakteur der Frankfurter Zeitung arbeitete. Kracauer war nicht nur mit Adorno befreundet, sondern auch mit Walter Benjamin und Max Horkheimer. Dieser Freundeskreis prägte lange auch die Arbeit des Instituts für Sozialforschung. Erich Fromm beendete einen Aufsatz für die Zeitschrift für Sozialforschung 1932 mit der Überlegung, dass das Zusammenspiel vom »seelischen Triebapparat und den sozialökonomischen Bedingungen« genauer betrachtet werden müsse.
Diese Forderung beeinflusste die spätere Arbeit des Instituts im Exil nachhaltig. In der Folge beschäftigte sich zuerst Fromm und dann später Adorno mit der Frage, warum so viele dem Faschismus folgten. In dem Buch »Die Furcht vor der Freiheit«, 1941 erstmals in den USA veröffentlicht, schreibt Fromm: »Er bewundert die Autorität und neigt dazu, sich ihr zu unterwerfen, möchte aber gleichzeitig selbst eine Autorität sein, der sich andere unterwerfen. Und noch aus einem anderen Grund habe ich diese Bezeichnung gewählt: Die faschistischen Systeme nennen sich selbst autoritär wegen der beherrschenden Rolle, welche die Autorität in ihrem gesellschaftlichen und politischen System spielt« (zitiert nach »Erich-Fromm-Lesebuch« 1985, Hg. Rainer Funk, S. 53).
Erich Fromm war zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung bereits aus dem Institut für Sozialforschung, das nun der Columbia-Universität in New York angeschlossen war, herausgedrängt worden. Adorno hat die Aufklärung über die psychologischen und soziologischen Ursachen für das Erstarken von Faschismus sein weiteres Leben beschäftigt.
Gerade in der heutigen Zeit, in der viele Menschen in einer nationalistischen und rassistischen Politik eine Alternative sehen, ist es wichtig, sich die Arbeiten von Fromm und Adorno wieder anzuschauen.