Sind wir unter uns?
1. November 2024
Widerstand der Roten Kapelle: Katja Ostheimers Buch zu Elisabeth Schumacher
Beim ersten Durchblättern des Buchs von Katja Ostheimer fällt auf: Die Autorin hat in der Reihe »Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus« das Ergebnis einer Recherche zu Elisabeth Schumacher aus der Roten Kapelle vorgelegt, die viele Jahre gedauert haben muss. Sie zitiert sehr viele bislang unveröffentlichte Dokumente, viele persönliche Briefe, die aber neben dem Privaten immer einen Eindruck zum jeweiligen Zeitgeschehen vermitteln, und schließlich zeigt sie im Vergleich zu biografischer Literatur anderer Opfergruppen ungewöhnlich viele Fotos der Protagonisten, fotografisch hochwertige Porträts, viele »Schnappschüsse« von Ausflügen – zum Teil sogar mit Autos – an einen See oder bei Wanderungen in den Schweizer Bergen. Es müssen fröhliche und weltoffene Menschen gewesen sein, von denen da die Rede ist.
Pionier der öffentlichen Stromversorgung
Das Buch beginnt mit dem Ururgroßvater Elisabeth Schumachers, der seine jüdischen Wurzeln kappte, sich evangelisch taufen ließ und fortan nach seinem Herkunftsort Hohenemser nannte. Er gründete 1792 als junger Mann das Bankhaus Hohenemser in Mannheim. Nach einigen Krisen und Umbrüchen befand sich die inzwischen konsolidierte Bank in dritter Generation in Frankfurt am Main. Am 28. April 1904 wurde Elisabeth Hohenemser geboren. Ihr Vater Fritz war das elfte Kind seiner durchaus wohlhabenden Eltern. Während die älteren Brüder im Bankgeschäft blieben, studierte er Elektrotechnik und war dann einer der Pioniere der öffentlichen Stromversorgung.
Universitätszugang als Frau verweigert
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er Soldat, die Familie kehrte nach Frankfurt zurück, und Fritz »fiel« schon im Oktober 1914. Rose Hohenemser, Elisabeths Mutter, war für ihren Lebensunterhalt und den ihrer fünf Kinder nun völlig auf die Unterstützung ihrer Brüder angewiesen – und erhielt sie auch (S. 32). Elisabeth, die gerne an der Universität studiert hätte, was ihr als Frau nicht möglich war, besuchte erst die Kunstgewerbeschule in Offenbach, dann die »Vereinigten Staatsschulen für angewandte Kunst« in Berlin, erhielt Ende der 1920er-Jahre eine Stelle als Gebrauchsgrafikerin am Arbeitsschutzmuseum und schuf dort mit eigener künstlerischer Handschrift zwischen Jugendstil und Art déco Plakate, Ausstellungstafeln, aber auch Teppichentwürfe (S. 99 ff.).
Ende 1930 lernte Elisabeth den Bildhauer Kurt Schumacher kennen. 1931 verlieh ihm die Preußische Akademie der Künste den »Großen Staatspreis« für die semiabstrakte Plastik »Knabengruppe«, die allerdings in der Presse – wohl wegen des homosexuellen Anklangs – in »Zwillinge« umbenannt wurde (S. 132). Kurt war schon früh überzeugter Antinazi. Er war mit Harro Schulze-Boysen befreundet, einem Juristen und Herausgeber der antifaschistischen Zeitschrift gegner, in deren Dezemberheft 1932 Kurt den Holzschnitt »Totentanz« veröffentlichte (S. 138). Am 9. August 1934 heirateten Elisabeth und Kurt in Berlin. Harro Schulze-Boysen lernte Libertas Haas-Heye kennen, die bei der Pressestelle der Filmgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer in Berlin arbeitete und einen entsprechend breiten Bekanntenkreis hatte. Sie heirateten im Juli 1936. So gab es ab Mitte der 1930er-Jahre sehr häufige gesellige abendliche Treffen in der ein oder anderen Wohnung, bei denen ausführlich gegessen, getrunken – und politisch diskutiert wurde. Nicht alle Gäste waren überzeugte Antifaschisten, vor allem Harro, Großneffe von Admiral Tirpitz und Adjutant im Reichsluftfahrtministerium glaubte, sich das erlauben zu können. Meist fanden die wirklich »gefährlichen« Gespräche erst statt, wenn man wusste, dass man »unter sich« war. 1937 kamen der Schriftsteller Günther Weisenborn, Elfriede Paul und Walter Küchenmeister hinzu – Antifaschisten, die sich kurz zuvor kennen und lieben gelernt hatten.
Völlig wertloser Reichsadler
Ostern 1938 entstand ein erstes Flugblatt, das in 80 bis 100 Exemplaren als »Brief« anonym an vermutlich politisch schwankende Personen heimlich verteilt wurde. In dem Schreiben wurde belegt, was die Beteiligung der Legion Condor am Spanischen Bürgerkrieg beutete: »Erprobung von Waffen als Vorbereitung auf den Krieg gegen die Sowjetunion« (S. 211). Ähnliche Aktionen folgten. Es mag verblüffen, dass Kurt Schumacher – offensichtlich als Staatspreisträger unverdächtig – lukrative Aufträge bekam, zum Beispiel 1938 einen künstlerisch völlig wertlosen riesigen Reichsadler am Turm einer Kaserne zu schaffen. Mag sein, dass er es tat, um nicht zur Wehrmacht zu müssen; mag sein, dass er so die Widerstandsarbeit perfekt tarnte …
Katja Ostheimer ist für ihre Recherchen und die ungeheuer detailreichen Schilderungen herzlich zu danken. Wer die Parole »Wir vergessen nicht!« ernst nimmt, sollte dieses Buch zur Kenntnis nehmen.
Tödliche Enttarnung
Wie klarsichtig die Gruppe arbeitete, zeigt eine tragische Aktion: Über Verbindungen zu Arvid Harnack, der Kontakte in die Sowjetunion hatte, gelang es dem Widerstand, Belege für die Vorbereitung des Überfalls der Nazis auf die Sowjetunion nach Moskau zu senden. Der Bericht erreichte Stalin persönlich, der auf den Rand des Berichts schrieb: »Das ist kein Informant, sondern ein Desinformant« (S. 285). Bekanntlich erlebte die Sowjetunion den Überfall am 22. Juni 1941 militärisch völlig unvorbereitet. Die Enttarnung begann, als es der Gestapo gelang, einen Funkspruch aus Moskau abzufangen, in dem Klarnamen genannt wurden, darunter der von Elisabeth Schumacher. Am 12. September 1942 wurden Elisabeth und Kurt Schumacher festgenommen, bis Ende Oktober über 100 weitere Männer und Frauen. Von den zwölf Hauptangeklagten wurden zehn zum Tode verurteilt (S. 378). Am 22. Dezember 1942 wurde Elisabeth Schumacher mit dem Fallbeil hingerichtet. (fn)