Gefahr erkannt
1. November 2024
Brief zur Debatte um den gewerkschaftlichen Beitrag gegen rechts
Die Auseinandersetzung zwischen der VVN-BdA Thüringen (siehe unten) mit der Autorin Regina Girod dreht sich um die Rolle des DGB im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus, insbesondere im Hinblick auf die AfD. Beide Seiten erkennen die Gefahr, die von der AfD ausgeht, doch der Streitpunkt liegt in der Einschätzung, wie wirksam und sichtbar die Gewerkschaften, insbesondere der DGB, diesen Herausforderungen begegnen.
Girods Hauptkritik richtet sich gegen die fehlende Sichtbarkeit eines breiten organisierten Widerstands des DGB gegen Rassismus und gesellschaftliche Spaltung. Sie argumentiert, dass Gewerkschaften wie Ver.di zwar in antirassistischen Arbeitskreisen und Aktionen gegen rechts engagiert seien, doch der DGB als Organisation nicht klar genug Position beziehe und zu wenig Widerstand gegen die tiefergehende gesellschaftliche Spaltung organisiere, die durch die AfD befördert wird. Girod erwartet, dass der DGB nicht nur auf ökonomische Themen wie Mindestlohn oder Tarifbindung fokussiert, sondern die tieferen gesellschaftlichen Gefahren adressiert, die von der AfD ausgehen.
Die Stellungnahme der VVN-BdA Thüringen versteht Girods Aussagen als pauschale Abwertung der Arbeit von Gewerkschafter*innen, die seit Jahren in antirassistischen und antifaschistischen Aktionen engagiert sind. Sie betonen, dass der DGB, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern, ein aktiver und verlässlicher Partner im Kampf gegen die AfD und andere rechtsextreme Bewegungen sei. Sie bewerten die Behauptung, der DGB würde keinen breiten Widerstand organisieren, als falsch und unangebracht.
Girod hebt in ihrer Kritik zu Recht einen wichtigen Punkt hervor: Der DGB ist eine zentrale Institution der deutschen Arbeiterbewegung, die jedoch eine ambivalente Rolle als »Einheitsgewerkschaft« und »Sozialpartner« des Kapitals spielt. Diese Position verankert den DGB tief im bestehenden wirtschaftlichen System, was seine Handlungsfähigkeit in Bezug auf grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen einschränken kann. Als »Sozialpartner« des BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) ist der DGB im kapitalistischen System verwurzelt, wodurch seine Fähigkeit, umfassende gesellschaftliche Missstände – wie Rassismus, soziale Spaltung und faschistische Ideologien – systematisch zu bekämpfen, eingeschränkt bleibt.
Die Geschichte zeigt, dass Gewerkschaften in der Nachkriegszeit eher zur Stabilisierung des Kapitalismus beigetragen haben, indem sie sich auf soziale Verbesserungen innerhalb des Systems konzentrierten, anstatt dieses grundsätzlich infrage zu stellen. Eine umfassende gesellschaftliche Transformation, die eine von Ausbeutung freie Gesellschaft ermöglichen würde, bleibt aus dieser Perspektive außerhalb des unmittelbaren Wirkungsbereichs der Gewerkschaften.
Während die Stellungnahme des VVN-BdA Thüringen zu Recht auf das tatsächliche Engagement von Gewerkschafter*innen in antifaschistischen Kämpfen hinweist, ist Girods Kritik tiefer angelegt. Sie richtet sich nicht gegen das individuelle Engagement einzelner Gewerkschafter, sondern gegen die strukturelle Ausrichtung des DGB. Zwar unterstützt der DGB Aktionen gegen die AfD und organisiert Proteste, doch dieser Widerstand bleibt oft auf einer oberflächlichen Ebene – die tiefergehende gesellschaftliche Spaltung, die durch ökonomische Ungleichheit und rassistische Diskurse befeuert wird, wird nicht systematisch angegangen. Gewerkschaften sollten sich ihrer Rolle als gesellschaftliche Akteure bewusster werden und sich nicht nur auf wirtschaftliche Kämpfe beschränken. Die Gewerkschaften müssten sich stärker von der Logik des Kapitals emanzipieren und ihre Kämpfe radikaler in den Kontext einer systemischen Veränderung stellen, um langfristig faschistischen Ideologien und neuen Kriegsherden den Boden zu entziehen.
Ich meine, Girod weist zu Recht auf die strukturellen Grenzen des DGB hin, während die Stellungnahme des VVN-BdA Thüringen defensiv die praktische Arbeit von Gewerkschafter*innen gegen Rechtsextremismus betont. Beide Perspektiven haben ihre Berechtigung, doch die tieferliegende Kritik an der sozialpartnerschaftlichen Rolle des DGB und seiner Beschränkungen im kapitalistischen System bleiben bestehen.
Zum Kommentar »Da geht noch was! Der DGB und die AfD« von Regina Girod in antifa Juli/August 2024, Seite 4 beschloss der Vorstand der VVN-BdA Thüringen die Erklärung »Auf den DGB ist Verlass!« und veröffentlichte diese auf Socialmedia und der Thüringen-Seite in antifa September/Oktober 2024.