Rechter Strategieexport
1. November 2024
»Lebensschutzbewegung« bleibt anpassungsfähig an rechte Diskurse
»Pro-life is a lie, you don’t care if people die« hallte es am 21. September auf Berliner Straßen – und zeitgleich auch in Köln. In beiden Städten fand an diesem Tag der sogenannte Marsch für das Leben statt, zum zweiten Mal parallel. Vordergründig geht es den Organisatoren um den Schutz »ungeborenen Lebens«, aber in der Konsequenz um das Verbot von Abtreibungen. Beiderorts stellten sich deshalb feministische und antifaschistische Gruppen dem Marsch entgegen.
In Köln und Berlin werden die Märsche vom Bundesverband Lebensrecht organisiert, der sich konfessionslos und überparteilich gibt. Nachdem in den vergangenen Jahren nach außen ein bürgerlicher Eindruck gewahrt wurde, lief in Berlin dieses Jahr erstmalig seit 2015 wieder die AfD-Politikerin Beatrix von Storch in den vorderen Reihen mit. Auch mit den Redner*innen hatte man sich internationale Vertreter der neuen Rechten auf die Bühne geholt: in Berlin Trump-Anhänger Pablo Munoz Iturrieta und in Köln John Deighan von der »Society for the Protection of Unborn Children«. Radikale Aussagen, Shoah-Vergleiche und Aufrufe zum Kulturkampf werden gerne ausländischen Gästen überlassen.
Solche Märsche gibt es nicht nur in Berlin und Köln – auch in München, Münster und dem sächsischen Annaberg-Buchholz finden sie statt, allerdings unter anderer Schirmherrschaft. Dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese bestens miteinander vernetzt sind. Hinter der Bewegung steht eine Vielzahl von Akteuren, die in einem unübersichtlichen Geflecht aus Vereinsstrukturen, Kampagnen-zusammenschlüssen und Lobbyorganisationen verwoben sind.
Für andere Aktivitäten werden vor allen Dingen die Lücken der Gesetzgebung genutzt. Hierzu zählt etwa die Einschüchterung medizinischen Personals durch Versammlungen vor Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, oder das Betreiben eigener, ideologisch geprägter und manipulativ arbeitender »Beratungsstellen«, die die Notwendigkeit eines »Beratungsscheins« nach der Fristenregelung des Paragrafen 218 ausnutzen.
Feministische Gegenwehr gibt es durchaus. So gelang es beispielsweise, die Aktivitäten der Fake-Beratungsstelle »Pro Femina« in Berlin zu skandalisieren: Nach Kundgebungen vor deren Türen und Aufklärungsflyern in der Nachbar*innenschaft sowie einer wirksamen Pressearbeit und Hausbesuchen engagierter Antifaschist*innen schloss der Verein 2020 seine Niederlassung. Allerdings passen die »Lebensschützer« ihre Strategien immer wieder an: Pro Femina hat inzwischen das Angebot der Online-»Beratung« ausgeweitet und bietet diese nun auch für Österreich, die Schweiz, Großbritannien und Portugal an.
Versuche, die reproduktiven Rechte von Frauen und trans Personen einzuschränken, sind Teil eines Antifeminismus, der konservativen Akteur*innen bis hin zur extremen Rechten als gemeinsamer Bezugspunkt dient. Gemein ist ihnen die Angst vor einem Wandel der gewohnten Geschlechterordnung. Ihre Kampagnen gehen nicht nur weit über das Themenfeld Schwangerschaftsabbruch hinaus, sondern auch die Schwerpunktsetzungen einzelner Akteure erfahren immer wieder Aktualisierungen und Fokusverschiebungen.
Ab Mitte der 2010er-Jahre organisierten sich antifeministische Akteur*innen neben den klassischen Themenfeldern wie Anti-Choice-Aktivismus auch rund um die Ablehnung dessen, was sie unter dem Kampfbegriff »Genderideologie« artikulierten – gegen Geschlechterforschung, die gleichgeschlechtliche Ehe oder sexuelle Bildung. Die »traditionelle Familie« und die Kontrolle von Reproduktion bleiben auch hier zentrale Motive. Spätestens mit den Debatten um das Selbstbestimmungsgesetz spielte auch Transfeindlichkeit eine immer größere Rolle.
Das Vorgehen weist dabei deutliche Parallelen zu den Strategien der »Lebensschutzbewegung« auf. Dies lässt sich am Beispiel des Webportals keinmaedchen.de nachvollziehen. Es richtet sich gezielt an trans Jugendliche sowie deren Eltern. Von der Aufmachung her erweckt es den Anschein einer Aufklärungsseite, tatsächlich werden medizinische Falschinformationen verbreitet, die Angst machen sollen. Immer wieder Thema: der angeblich drohende Verlust der Reproduktionsfähigkeit bei einer Transition. Im Impressum als verantwortlich genannt wird der Verein Ehe-Familie-Leben e. V. mit Sitz in Magdeburg, der auch hinter der »Demo für Alle« steht. Eine personelle Kontinuität stellt Hedwig von Beverfoerde dar, die im Impressum von keinmaedchen.de als Vorstandsvorsitzende gelistet ist. Diese hat nicht nur die »Demo für Alle« mit initiiert, sondern trat auch jahrelang als Rednerin beim »Marsch für das Leben« auf und ist über den deutschen Ableger der Lobbyorganisation »One of Us« und die Stiftung »Ja zum Leben« zumindest indirekt mit »Pro Femina« verbunden.
Eine feministische und antifaschistische Gegenwehr muss die Frauen- und Queerfeindlichkeit dieser Bewegung zusammendenken und sich klar positionieren. Angriffe auf LGBTQ-Rechte waren auch bei den diesjährigen Landtagswahlen präsent, mit Gegendemonstrationen zu CSDs konnte die extreme Rechte teils Hunderte Menschen mobilisieren. Die Antwort auf diese Entwicklung muss eine queer-feministische sein – dazu gehört auch eine Absage an die Zusammenarbeit mit transfeindlichen »Feministinnen«.
Zum Weiterlesen und Hören:
- antifeminismus-begegnen-mediathek.de
- Antisexistische Aktion München (2023): Fundis. LOL. Broschüre zur christlich-fundamentalistischen »Lebensschutzbwegung«, Download: asam.noblogs.org
- Judith Goetz/Stefanie Mayer : »Globalisierter Backlash. Queerfeindlichkeit und Antifeminismus verbinden autoritäre Bestrebungen weltweit«, in: iz3w 401, März/April 2024
- Juliane Lang/Ulrich Peters (Hg.): Antifeminismus in Bewegung. Marta Press, Hamburg 2018, 336 Seiten, 20 Euro