Ohne Orientierung
6. Mai 2025
Zum Film »Mit der Faust in die Welt schlagen«
Das Aufwachsen in der Lausitz der Nachwendezeit bis zum Sommer der Migration 2015 wird im Buch »Mit der Faust in die Welt schlagen« von Lukas Rietzschel aus dem Jahr 2018 einfühlsam und unplakativ beschrieben. Zwei Brüder in der Provinz Ostsachsens, die mit der Sprachlosigkeit der Erwachsenen, der Perspektivlosigkeit der Eltern, der kriselnden Weltlage (zwischen Oderhochwasser und islamistischem Terror), der Abwesenheit sozialer Institutionen und auf der anderen Seite dem prominenten Identitätsangebot des völkischen Nationalismus und den dazugehörigen Jugendbanden groß werden. Der Roman möchte explizit nicht erklären, warum sich so viele junge Leute in der ostdeutschen Provinz in der rassistischen Abwertung gegenüber Geflüchteten im sogenannten Wutbürger*innentum eingerichtet haben. Er bietet keine Orientierung, sondern beschreibt nur, wie es war und heute noch ist. Was wir verstehen: Es geht diesen Heranwachsenden nicht gut, und sie finden – ähnlich wie alle anderen in ihrer Umgebung – keine Worte dafür. Es gäbe auch niemanden, der ihnen zuhören würde. Also greifen sie zu Gewalt. Sozialpsychologisch treffend?
Das Buch galt als Erklärungsansatz für die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz im Spätsommer 2018 und wurde deshalb viel besprochen. Dabei gab es schon da unzählige Werke dieser Beschreibungsprosa offensichtlich klärungsbedürftiger, weil zum Problem werdender Mentalitäten in der ostdeutschen Provinz der Nachwendezeit. »Unterleuten« von Juli Zeh kam 2016 heraus und wurde vor allem deshalb gemocht, weil es nicht moralisiert und sich trotz 640 Seiten mit der wertenden Strukturanalyse zurückhält. Die Leser*innen werden in einer verständnisvollen Ohnmacht ihren eigenen Interpretationen überlassen, ohne dass Erklärungs- und Lösungsansätze genau genug besprochen werden.
Warum sind diese deprimierenden Bücher so viel beliebter als Coming-of-Age-Geschichten von nicht-rechts-gewordenen Jugendlichen im Osten, die sich moralisch positionieren, die Kunst und Kultur in die Provinz tragen und aus der Desorientierung freundlicher und aktiver hervorgehen wie die Romane von Clemens Meyer (2006), Manja Präkels (2017) oder dem Rapper Testo (2023), der seine Kindheit in Stralsund beschreibt?
Wahrscheinlich weil der beste Schutz vor diesen großen Herausforderungen des Zusammenbruchs das Heraushalten und das Nicht-genau-wissen-wollen ist. In dieser Welt der Ungenauigkeit spielt auch der neue Film »Mit der Faust in die Welt schlagen« von Constanze Klaue, der unter anderen vom MDR mitproduziert wurde. Klaue hält sich an die Romanvorlage und bringt noch eigene biografische Erfahrungen mit ein. Gäbe es das Genre Tristesse-Cinema wäre dieser Film sicherlich dort verortet. Auf der Berlinale 2025 lief er unter dem Stichwort »Brüchige Gesellschaften« – also sozialer Realismus. Wälder, Rapsfelder, Baggerseen und verlassene Industriebetriebe. Das Setting, die Klamotten, der Schnitt, die Musik – alles sehr undramatisch, melancholisch, gleichmütig, hoffnungslos und deshalb so beklemmend wie die Story selbst. Die wird von bekannten Schauspieler*innen (z. B. Anja Schneider und Christian Näthe) solide erzählt. Es werden – wie auch schon in der Romanvorlage durchaus Deutungsangebote für den späteren Brand in der geplanten Unterkunft für syrische Geflüchtete gemacht: autoritäre Lehrer*innen – also Abwertungserfahrungen durch (Ex)-DDR-Pädagogik. Gegenüber neuen Krisenphänomenen hilflose Respektspersonen, stattdessen durchaus sympathische und sich kümmernde Neonazis – also fehlende Identifikationsfiguren und fehlende gesellschaftliche Institutionen. Lügende, ständig abwesende, ehebrüchige Eltern – also Symptome von Desorientierung, die zu zerrütteten und ewig unsicheren Sozialbeziehungen führen. Gruppenzwang in Kombination mit Gewalt – also toxische Männlichkeitsbilder, Verrohung durch fehlende Empathie usw. Abfeiern von Nationalismus – also Füllen der sozialen Leere durch Rassismus und die eigene Aufwertung.
Das alles wird nicht ausgesprochen, sondern obliegt der Interpretation der mehr oder weniger informierten Betrachtenden. Das einzige, was wirklich klar wird, ist die Wortkargheit. Es gibt so vieles, worüber mit den Jugendlichen nicht geredet wird (Alkoholismus, die Zukunft, die Vergangenheit, moralische Leitlinien, die Ängste, was einem Freude macht). Einerseits weil die Erwachsenen anscheinend keine Selbstreflexion betreiben – was unglaubwürdig ist. Andererseits, weil vieles gesellschaftlich noch nicht genügend geklärt ist – was der Wahrheit entspricht. Der Film leistet, obwohl gut inszeniert, dazu keinen Beitrag, sondern beschreibt nur den Mangel. Dass es anders geht, zeigt der Film »Die Kriegerin« (2011), der genau in dieser Zeit gedreht wurde, die hier so unbekannt gemacht wird. David Wnendt erzählt dort die Geschichte einer jungen Frau in Bitterfeld, die sich der lokalen Neonaziszene anschließt. Der Film ist auch atmosphärisch und beunruhigend, aber liefert zumindest konkretere Erklärungen und bietet Auswege, die durch Widersprüche, durch Fremd- und Selbstreflexion angeregt werden.