Ein verheerendes Urteil
6. Mai 2025
Linke Zeitung Kontext ist wegen Klage von einem Rechten in Existenz bedroht
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat nach einem sieben Jahre dauernden Rechtsstreit Ende März die linke Wochenzeitung Kontext zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 25.000 Euro plus Zinsen an den extrem rechten M. G. verurteilt. Außerdem darf die Zeitung den Namen dieses ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiters von zwei AfD-Landtagsabgeordneten des baden-würt-tembergischen Landtags im Zusammenhang mit menschenverachtenden Aussagen in einem riesigen rechten Facebook-Chat, der Kontext vor sieben Jahren zugespielt wurde, nicht mehr nennen und muss sämtliche Kosten des Verfahrens tragen.
Als Argument diente dem OLG Frankfurt nicht mehr die Frage, ob der Mann wirklich die Beiträge geschrieben hat, sondern woher Kontext den USB-Stick mit dem Chat bekommen hat und wie die Redaktion die Vertrauenswürdigkeit des Whistle-blowers geprüft habe. Um das offenzulegen, hätte Kontext den Namen des Informanten nennen müssen. Für die Redaktion stand aber fest, dass sie sich darauf nicht einlassen wird. Da der Verfahrensgegner sehr klagefreudig ist, wird sein Name hier nur abgekürzt veröffentlicht.
Aber zurück zur Vorgeschichte: Im Jahr 2018 hatte Kontext den geheimen Chat mit mehr als 100.000 Einträgen zugespielt bekommen, in der Summe 17.000 Druckseiten. Darin waren unter anderem Mitglieder der AfD, der NPD und rechte Burschenschaften aktiv, insgesamt 130 Rechte verschiedenster Couleur. Nach einer Auswertung hatte die Zeitung in einem Artikel mehrere Details veröffentlicht. Es waren einschlägige neonazistische und NS-verherrlichende Posts, wie solche, in denen sich ein neuerlicher Holocaust gewünscht wurde.
Nach einer redaktionellen Analyse des Schreibstils und der Zuordnung des Accounts dieser Beiträge wurde in Kontext der Name des wissenschaftlichen Mitarbeiters der AfD-Landtagsabgeordneten als Verfasser genannt. Dagegen ist der Mann, einst Mitglied der NPD und Alter Herr der Marburger Burschenschaft Germania, vorgegangen. In einem Eilverfahren wurde ihm seitens des Landgerichts Mannheim Recht gegeben. Gegen diese Entscheidung legte Kontext Einspruch ein und siegte zunächst vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe (siehe Marginalie). Eine Analyse der Accounts ergab, dass die besagten Tweets eindeutig von G.s Account stammten. Der gab daraufhin an, dass sein Account gehackt worden sei und eine andere Person die Tweets geschrieben habe. Bei dieser Version bleibt G. bis heute.
Als es um die Frage ging, wie weit die AfD im extrem rechten Milieu verankert ist, wurden die Beiträge immer wieder zitiert. Auch dagegen ist der ehemalige NPD-Mann juristisch vorgegangen. So wurde auch im Aufruf zu Protesten gegen den AfD-Landesparteitag in Heidenheim 2018 aus den Chats zitiert. Der Mann ließ alle Gruppen, die den Aufruf zu den Protesten unterzeichnet haben, abmahnen. Unter der Androhung einer hohen Geldstrafe sind viele kleine antifaschistische Initiativen und Gruppen eingeknickt und haben eine Unterlassungserklärung unterschrieben, wonach nicht mehr behauptet werden durfte, dass er der Autor der zitierten Chat-Auszüge sei. Lediglich die VVN-BdA Baden-Würt-temberg1 und der DGB Nordwürttemberg haben sich nicht einschüchtern lassen und verweigerten die Unterzeichnung der Unterlassungserklärung.
In dem Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main wurde der Streitwert, nachdem sich die Prozess- und Anwaltskosten bemessen, auf 480.000 Euro erhöht. Dabei wurde jedes veröffentliche Zitat als eigener Punkt im Verfahren erklärt, anstatt sie gesammelt zu beurteilen, wie es in vielen Verfahren üblich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass das Gericht mit der Begründung, die »Rechtssache« habe keine »grundsätzliche Bedeutung«, keine Revision zugelassen hat. Die Kontext-Redaktion lässt nun prüfen, ob es möglich ist, dagegen Beschwerde einzulegen. 2018 schrieb die Redaktion, dass es möglich sei, dass das Verfahren 2025 vor dem Bundesgerichtshof landet.
Das OLG Frankfurt scheint es nicht so weit kommen lassen zu wollen. Das aktuelle Urteil kann der kleinen linken Zeitung finanziell das Genick brechen. Für andere Medien erschweren sich investigative Recherchen. Auch der bekannte Journalist und Autor Günter Wallraff kritisierte das Urteil scharf. »Wenn die Gerichte die Preisgabe von Informanten fordern und Quellenschutz kriminalisieren, zerstören sie den Kern der investigativen Recherche«, erklärte er.
Die linke Zeitung Kontext machte nach dem Prozess im April deutlich: »Dieses Urteil können wir so nicht stehen lassen. Wir knicken nicht ein! Im Gegenteil, wir machen weiter. Unser Kostenrisiko liegt dann bei etwa 140.000 Euro. Dieses Geld haben wir dank zahlreicher Spender:innen bereits zusammen. Und – jetzt erst recht! Wir wollen weiter zum Rechtsextremismus im Ländle recherchieren. Dazu gründen wir einen Recherchepool mit spezialisierten Autor:innen. Es gilt nun die Basis dafür zu schaffen.«
1 kurzlinks.de/demo-heidenheim
OLG Karlsruhe: »Eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage«
In der Urteilsbegründung des OLG Karlsruhe von 2018 erklärtes dieses noch: »Denn mit Rücksicht auf die Diskussionen um rechtsextreme Bestrebungen im Umfeld leisten die beanstandeten Presseartikel einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage.« Das Gericht erklärte damals weiterhin, »in diesem Zusammenhang« darf »auch identifizierend über den Kläger berichtet werden«. Für die Bedeutung der Aussagen war nach dem Gericht wichtig, dass G. als Mitarbeiter zweier AfD-Landtagsabgeordneter direkten Zugang zum Landtag hatte. Das Gericht in Frankfurt am Main interessierte diese Auffassung scheinbar nicht die Bohne.