Vor Ort in Griechenland
11. September 2013
Ein politischer Reisebericht über Faschismus gestern und heute
Vom 8. bis zum 13. Juni besuchte eine Gruppe des Darmstädter DGB-Stadtverbandes Griechenland. Ziel war Livadia, eine Stadt in der mittelgriechischen Region Böotien. Das dortige Arbeiterzentrum, der regionale Zusammenschluss verschiedener Gewerkschaftsorganisationen, hat sein Aktionsfeld um einen sozialen Supermarkt erweitert, in dem Lebensmittel und gebrauchte Kleidung an bedürftige Familien abgegeben werden. Das ist notwendig geworden, da die rigorose Sparpolitik der letzten Jahre viele Menschen in Armut gestürzt hat. Mit einem Solidaritätskonzert und bei anderen Gelegenheiten wurde hierfür Geld gesammelt. Die Gruppe war dort, um das Geld zu übergeben.
Nicht zufällig geschah dies Anfang Juni. Denn zum Bereich des Arbeiterzentrums gehört auch Distomo. In dieser Gemeinde richtete am 10. Juni 1944 die Waffen-SS ein bestialisches Massaker an der Zivilbevölkerung an, dem 219 Menschen zum Opfer fielen. In den ersten zehn Tagen des Juni gab es unterschiedliche Veranstaltungen zum Gedenken an diese Morde. Diese Gräuel sind im Bewusstsein der Bevölkerung auch heute noch sehr präsent. Fast jeder Einwohner Distomos weiß von einem Vorfahren zu berichten, der dabei ermordet wurde.
Im Rahmen der Gedenkfeiern gab es auch eine Podiumsdiskussion zur Frage der Entschädigungen des deutschen Staates für diese Verbrechen. Daran nahmen die Bürgermeister der Märtyrer-Städte teil, also der Gemeinden, die wie Distomo Opfer solcher Massaker wurden; außerdem der Jurist Stelios Perrakis, der die griechischen Interessen am Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag vertrat.
In der Diskussion ging es darum, wie ein Prozess um Entschädigungen neu aufgerollt werden kann. Bisher hat der deutsche Staat erfolgreich alle Forderungen nach Reparationsleistungen abgewiesen. 2012 gab der IGH einer Klage Deutschlands statt, mit der die Bundesrepublik Immunität gegenüber Klagen von NS-Opfern beansprucht. Wichtig sei es, so Perrakis, jetzt die griechische Regierung zum Handeln zu zwingen.
Am Montag, dem Jahrestag des Massakers, fand in Distomo die Gedenkfeier statt. Sie hatte einen sehr offiziellen Charakter. Hochrangige Politiker aus Athen reisten an und Einheiten des Militärs waren anwesend. Gemeinsam liefen wir zur Gedenkstätte auf einem Hügel nahe beim Ort. Dort wurden eindrucksvoll die Namen aller Ermordeten vorgelesen. Danach gab es Reden des Bürgermeisters und anderer Politiker.
Einer kleinen antifaschistischen Gruppe aus Livadia reichte diese Art des Gedenkens nicht aus. Sie wollte auch einen Bezug zu den heutigen Problemen herstellen. Sie führte als einzige ein Transparent mit. Es enthielt den Slogan: »Kein Vergeben, kein Vergessen – Kampf dem Faschismus überall«.
Und der Kampf gegen den Faschismus ist heute in Griechenland wieder aktuell. Die faschistische Partei »Goldene Morgenröte« kann nach Umfragen heute mit einem Stimmenanteil zwischen zehn und vierzehn Prozent rechnen, und wäre damit vor der PASOK drittstärkste Partei. Sie profitiert von den Folgen der Spardiktate, die für viele Menschen extreme Einkommensverluste, auch Arbeits- und Wohnungslosigkeit bedeuten.
Soziale Unsicherheit ist weit verbreitet. Die »Goldene Morgenröte« versucht, diese Menschen mit einer extrem rassistischen Propaganda anzusprechen. Sie wendet sich vor allem gegen die zahlreichen Flüchtlinge und verspricht den griechischen Menschen Arbeit und Brot, wenn die Flüchtlinge abgeschoben würden. Gegen Flüchtlinge werden regelrechte Pogrome organisiert, ausländische Händler werden von Märkten vertrieben. So will sich die Partei als Sprachrohr der vielen Kleinhändler profilieren, die auf die einheimische Nachfrage angewiesen sind. Zahlreiche leer stehende Geschäfte zeugen vom Einbruch der Massenkaufkraft und den Schwierigkeiten der vielen kleinen Selbständigen.
Lebensmittelausgaben »nur für Griechen« dienen dem selben Zweck. Doch wird die faschistische Partei nicht nur von Deklassierten getragen. Die Partei wird auch von reichen Reedern unterstützt, wie die ehemalige Nummer zwei der Partei nach ihrem Austritt in einem Buch veröffentlichte. Die Partei vermittelt auch Arbeitskräfte an befreundete Unternehmer und plant den Aufbau eines eigenen Arbeitskräfteverleihs. Die »Goldene Morgenröte« hat bereits angekündigt, sie werde auch gegen Schwule und Linke vorgehen, wenn sie mit den Ausländern fertig sei.
Die Reeder, die in Griechenland eine lange antidemokratische Tradition besitzen, haben so auf jeden Fall einen Plan B, falls die Pläne der Regierung Samaras für weitere Privatisierungen und Entlassungen auf breiteren Widerstand stoßen und eine Linksentwicklung möglich werden sollte.