Furien oder »Helferinnen«?
4. Januar 2015
Wendy Lower über »Deutsche Frauen im Holocaust«
Der Originaltitel dieser aus dem englischen übersetzten Untersuchung der britischen Autorin lautet: »Hitler’s Furien«. Eine Furie ist in der Deutung ein »böses, wütendes Weib«. Dem Verlag war das vielleicht etwas zu drastisch und brachte dieses beklemmende Werk mit dem etwas milder klingenden Titel »Hitlers Helferinnen. Deutsche Frauen im Holocaust« auf den Markt. Wer das auf zahlreiche, zum Teil immer noch nicht vollständig ausgewertete, vom Zerfall bedrohten Dokumenten, auf Zeitzeugenaussagen und Gesprächen mit den 13 Frauen, deren Lebensläufe sie hier betrachtet, gestützte Werk beendet hat, wird dem Originaltitel den Vorzug geben.
Dabei geht es hier nicht um die »großen Namen«, die im Mordgefüge des Regimes eine Rolle gespielt haben. Insoweit ist dem vom Verlag zitierten US-amerikanischen Historiker Timothy Snyder zuzustimmen, dass diese Veröffentlichung »einen Wendepunkt für die Frauengeschichte wie für die Geschichte des Holocaust« bedeutet. Da ist etwa Josefine Bock, die im Juni 1943 in Drohobytsch ihren Mann bei der Auflösung des dortigen Ghettos begleitet. Ein sieben Jahre altes jüdisches Mädchen kam auf sie zu und flehte weinend um ihr Leben. Sie packte die Kleine an den Haaren, schlug mit den Fäusten auf sie, warf sie zu Boden, trat gegen den Kopf, Die Mutter nahm die fast tote Tochter und versuchte vergeblich sie wieder zu beleben. Liesel Willhaus, Ehefrau des SS-Untersturmführers Gustav Willhaus, Kommandant des Lagers Janowska in Lemberg, nutzte ihren Balkon um auf Häftlinge zu schießen, »einfach nur zum Spaß«, wie ein jüdischer Augenzeuge sagte. Oder Johanna Altvater, die jüdische Kinder mit Süßigkeiten zu sich lockte. Wenn sie kamen und den Mund öffneten, schoss sie ihnen mit einer silbernen Pistole in den Mund. .
Einige Beispiele nur aus einer Fülle von Verbrechen, die wir bislang nur aus Berichten über das Wüten der SS-Einsatzgruppen oder der Wehrmacht in Polen und der Sowjetunion kennen, nicht aber von der in der Staatspropaganda gefeierten »kleinen tapferen Soldatenfrau« oder der wackeren Straßenbahnschaffnerin, die an der Stelle der den Osten als »Lebensraum« erobernden Männer die Bahn durch die Trümmer der zerbombten Städte fährt.
Die Autorin spricht von rund 5000.000 Frauen, die in die okkupierten Gebiete des Ostens gingen, in die vom faschistischen Regime so heiß begehrte Ukraine, die »Kornkammer Europas« Sie waren »erschreckend jung«, Sekretärinnen, Ehefrauen, Krankenschwestern, KZ-Aufseherinnen. 30.000 waren es in den Reihen der SS. Hitlers Helferinnen, so die Autorin, »waren der Überzeugung, ihre Gewalttaten seien als Racheakt an Feinden des Reiches gerechtfertigt; in ihren Augen waren solche Gewalttaten ein Ausdruck von Loyalität.« Sie wurden zu Täterinnen, »die aus Überzeugung eigenhändig mordeten«.
Lower konstatiert:« Keine der in diesem Buch vorkommenden Frauen musste töten. Hätten sie sich geweigert, Juden umzubringen, so hätte das keine Bestrafung zur Folge gehabt. Wenn man sich jedoch entschloss, den Opfern zu helfen, kannte das Regime keine Gnade.«
Die aber fanden die Frauen, die wegen ihrer Untaten, wenn überhaupt, in der alten BRD vor Gericht gerieten. »Die meisten Mörderinnen kamen ungestraft davon.« Die Autorin findet dafür u. a. die (stimmende) Erklärung: »(…) die Justiz in Westdeutschland und Österreich war nicht gründlich entnazifiziert.«
Im »Ostdeutschen Polizeistaat« wurde (nach »entlocktem Geständnis«) als einzige der dreizehn Erna Petri schuldig gesprochen. Die Ermittlungsbehörden fanden in ihrem Haus Beweise, dafür, dass das Ehepaar Petri auf ihrem landwirtschaftlichen Gut im ukrainischen Grzenda Zwangsarbeiter und entflohene Jüdinnen und Juden folterte, missbrauchte und ermordete – darunter sechs von Erna eigenhändig erschossene jüdische Kinder.
Eine beklemmende Lektüre, die an einigen Stellen vielleicht »nachgebessert« werden könnte: Wieviel sind »rund fünf«? (S. 175), unbestraft statt »ungestraft« (S. 254). In die Gestapo-Zentrale wurden Deutsche nicht »einbestellt« (S. 81). Sie wurden eingeliefert. Die Zentrale des Mordprogramms »Euthanasie« (T4) befand sich nicht im Berliner Columbia-Haus. (S. 73). T4 steht vielmehr für Tiergartenstraße 4.