Ansichten für Antifaschisten
5. März 2016
Ein Diskussionsbeitrag von Victor Grossman
Trotz manches Lichtstrahls der Hoffnung dauern die Kriege noch an. Drohende, stärkere, modernere Waffen kommen sich immer näher.
Ein Resultat neben der Zerstörung und den vielen Todesopfern ist die Fluchtwelle, die Europa so dramatisch erreicht. Und gerade diese Welle lässt die übelsten Elemente der Gesellschaft, die nie weg waren, rapide wachsen. Die AfD droht, in Landtagen, ja im Bundestag, Hauptoppositionspartei zu werden; manche aus alten Parteien suchen schon Verbindung. Lese ich davon und auch darüber, dass Pegidas weitermarschieren, dass Schmierereien, Brandsätze und Gewalt sich vermehren, denke ich mit Sorge 80 Jahre zurück und frage mich: »Dejá vu?«
Wir müssen klar und zahlreich dagegen wirken. Eine Hauptverantwortung von Antifaschisten soll sein, weiterhin gegen jegliche rassistische, häufig als »anti-islamisch« verkleidete Hetze zu kämpfen. Flüchtlinge sind Mitmenschen, die Hilfe benötigen, ihre Schwäche wird genauso missbraucht, um von echten Gefahren abzulenken, wie so oft: in Deutschland einst gegen Juden, in den USA gegen Indianer, Schwarze und Latinos, in Frankreich gegen Nord-afrikaner, in England sind es Pakistanis, in Ungarn die Roma. Für uns gilt es, gerade die Muslime – auch neu Angekommene, nicht nur zu verteidigen, sondern, trotz mancher Fanatiker unter denen sie leiden wie wir, als Verbündete gegen Krieg und Faschisten zu gewinnen.
Leider sind die Reihen oft durch Streit geschwächt. Begriffe wie »Anti-Israel«, »Anti-USA«, »Anti-Deutsch«, »Putin-Freund«, »Verschwörungstheoretiker« fliegen herum. Auch wird von »roten Linien« gesprochen. Davon habe ich zwei. Ich dulde nicht Ansichten, dass »die Juden« oder deren angebliche »Weltverschwörung« für die Welt-Übel verantwortlich seien und lehne genau so scharf Verschwörungstheorien über die »Islamisierung des Westens« ab, etwa unter »Scharia-Herrschaft«. Diese Wege sind bekannt – und tabu!
Und »Anti-USA«? Schon der Begriff ist ein Unding. Es gibt keine eingleisigen USA. Manche dort waren zu bewundern: Rosa Parks, Malcolm X, Dr. King, nun Bernie Sanders, wie auch Beiträge zur Weltkultur wie von Woody Guthrie, Pete Seeger, Jazz-Meistern und vielen anderen. Leider gibt es aber die andere Seite. Seit 1945 ist die Liste lang, wo die USA »Regime Changes« leiteten und dabei die schlimmsten Verbrechen verursachten, wie in Iran 1953, Guatemala 1954, Kongo 1960, Chile 1973, und jahrelang in Vietnam, Irak, Afghanistan.
General Wesley Clark, früher NATO-Chef in Europa, schilderte einst, was er 2001 von einem anderen Pentagon-General erfuhr:
»Ich sagte: ‚Sollen wir immer noch Krieg gegen Irak führen? ‘ Und er sagte, ‚O, es ist viel schlimmer.‘ Er reichte über seinen Tisch, hob ein Papier auf und sagte, ‚Das habe ich gerade von oben bekommen‘ – womit er das Büro des Verteidigungsministers meinte… ‚Diese Notiz schildert wie wir innerhalb von fünf Jahren sieben Ländern fertigmachen sollen, angefangen mit Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und danach Iran.«
Die Reihenfolge haute nicht so hin, dafür die Richtung. Die USA besitzen nun über 800 Stützpunkte in 80 Ländern und wollen das Netz erweitern, von Morón in Spanien bis Jalalahad in Afghanistan, in Irak, in Djibouti als Hauptbasis in Afrika, mit Stützpunkten für Drohnen in Ägypten, Niger, Kamerun und Burkina Faso.
In Europa, trotz Versprechen von 1990, sind die USA und ihre NATO-Partner bis Estland nahe an St. Petersburg vorgedrängt, mit Stützpunkten in Polen, Rumänien, Bulgarien und NATO-Angeboten an Azerbaidjan und Georgien. Dann kam die Ukraine, um den Ring um Russland zu schließen. Wäre es nicht mit der Krim anders gelaufen, hätte Russland kaum Anschluss zum Schwarzen Meer.
Man muss kein »Putin-Freund« sein, auch kein Assad-Anhänger. Doch ein Blick auf die Karte zeigt klar, wer wem droht. Und wenn USA-Politiker von Welthegemonie reden und einem »Maidan« auf dem Roten Platz, darf man da nicht an Verschwörungen denken? Anti-USA darf man nicht sein, doch fest gegen Kriegsfalken und die mächtigen Waffen-, Erdöl- und Finanzriesen hinter ihnen.
Bei »Anti-Israel« ist es ähnlich. Gegen Netanyahu-Leute muss man sein, wegen ihrer Freundschaft mit Apartheid-Südafrika, der Bewaffnung blutiger Diktaturen im Zentralamerika, ihrer einsamen Stimme für die USA-Embargos gegen Kuba, und noch mehr wegen des Versuchs, ganz Palästina zu beherrschen, wegen der Diskriminierung und Bombardierung und den hassgeladenen Worten fast sämtlicher Kabinettsmitglieder. Doch das Israel von Uri Avnery und Amos Oz, von »Refuseniks« wie Tair Kaminer, die, 19jährig, lieber ins Gefängnis ging als in das besetzte Gebiet. Dieses Israel kann man lieben!
Ach, all das erfordert Debatte und Auseinandersetzung. Nehmen wir daran teil, ohne mit Lupe und Wasserwaage jeden zu prüfen, neben dem wir demonstrieren. Feste Prinzipien gegen jeglichen Rassismus sind stets zu behalten, doch wagen wir uns mittenmang der Menschen; wir brauchen so viele wie nur möglich, die Gefahren lauern dämonisch nah.