Gesichter und Geschichte
2. Mai 2016
Gabriele Senfts Fotoband über Schriftsteller der DDR
Die »Junge Welt« hatte zum 13. April in die Ladengalerie eingeladen, um den bekannten Fotografen Horst Sturm zu ehren. Mir war er, ich muss es gestehen, nicht mehr in Erinnerung. Als ich aber seine, von Gabriele Senft für die Ausstellung ausgewählten Bilder sah, schämte ich mich vor mir selbst: Wie konnte ich nur das Bild vom noch nicht fertigen Fernsehturm vergessen, auf dem er sich aus der Kuppel herauslehnte, oder das bekannte Bild von Bert Brecht und Helene Weigel auf dem Dach des BE oder das weltbekannte Portrait von Anna Seghers oder Che Guevara.
Zu meinem Erstaunen war der Raum (wie so oft) überfüllt, es waren sehr viele Fotografen-Kollegen von Horst Sturm und Gabriele Senft gekommen und auch viele VVN-Kameradinnen und -Kameraden. Nach der Rede von Gabriele stellte ich fest, dass dieser Abend ein »Doppelkonzert« wurde – die biografischen Informationen zu Horst Sturm, der ihr Lehrer war und durch den sie sowohl die künstlerische als auch die handwerkliche Erfahrung bekam; auch sein politischer Einfluss waren klar zu erkennen. Zu Gabriele Senfts künstlerischen Lehrern gehörten auch Sibylle Bergemann, Walter Heilig und Eva Kemlein. Durch deren politischen Einfluss engagierte sie sich und fotografierte u.a. Fritz Cremer, Käthe Reichel, Angela Davis, Mikis Theodorakis, Ruth Werner, Herman van Veen und Gerhard Gundermann. Die Fotografin war auf allen politischen Demonstrationen – die Bilder zeigen es. Im »Neuen Deutschland« und in der »Jungen Welt« ist sie präsent.
Dem Verlag Wiljo Heinen und ihr ist zu danken, immer wieder auch den Rückblick auf ostdeutsche Befindlichkeiten nach der Vereinigung beider deutscher Staaten zu aktualisieren. Nach mehreren Reisen in den Kosovo hatte Gabriele Senft ihre Fotoausstellung über Jugoslawien erarbeitet. Schwerpunkt war ihr Erlebnis des Luftangriffs auf die Brücke von Wawarin. Die Ausstellung wurde in 50 Städten gezeigt, auch in Prag und in Wien. Sie rührte an Gefühl und Vernunft der Menschen. In ihren ausdrucksstarken Bildern klagt sie den Wahnsinn der Kriegstreiber an und unterstützt die Friedensbewegung.
Mit ihrem Buch zu den DDR-Schriftstellern hat Gabriele Senft für meine Generation Erinnerungen ins Gedächtnis zurückgerufen. Sie meint in ihrer Einführung: » Die Seiten dieses Buches werden bei manchem ein Gefühl der Wehmut hervorrufen; denn dem Anspruch aus der Kinderhymne Brechts wurden die, die sich erinnern – die die DDR gestaltende Generation – nicht gerecht. Wir haben es vergeigt, aus objektiven, mehr noch aus subjektiven Gründen.«
Es waren nicht nur die Schriftstellerkongresse, die Friedensfeste und die Begegnungen mit Kindern, die die Verbundenheit der Schriftsteller mit der Bevölkerung zeigen, ihr Interesse am Gespräch. Das Motto des Buchbasars auf dem Berliner Bebelplatz am 8. Mai 1983 »Dem Frieden das Wort und die Tat« verbindet alle im vorliegenden Bildband versammelten Anlässe und Orte der Begegnung, Davon zeugen auch die wiederholten Treffen mit Autoren anderer Länder – Orte der Verständigung untereinander, wie bei den Schriftstellerkongressen, dem Poetenseminar und den Begegnungen mit Lesern, wie im Kabelwerk in Berlin, bei Lesungen und Buchbasaren.
Die Auswahl der Fotos ist mehr als ein Katalog zur Ausstellung »Dialog. Schriftsteller in der DDR.« Etwa 40 der hier abgedruckten Bilder werden dort gezeigt und sie ist auch kein »unvollständiges Schriftsteller-Lexikon«. Das Fotobuch möchte vielmehr zum Sehen und Nachdenken einladen.
Gabriele Senft wünscht sich, dass »es gelungen ist, wenn das Blicken in die Gesichter Vergnügen bereitet.« Mir hat es großes Vergnügen bereitet. Ich habe manchmal beim Lesen der Texte und Betrachten der Bilder meinen Platz am Schreibtisch verlassen, bin zum Bücherregal gegangen und habe mich im Stillen mit dem einen oder anderen Autor unterhalten.
Mich hat sehr beeindruckt, wie die Autorin an dem Abend in der Jungen Welt über die Zerrüttung der augenblicklichen Friedensbewegung sprach. Ich hoffe, dass ihre Position dazu in dem Band zu Horst Sturm »Das Einfache« abgedruckt wird. Es würde sich, wie alles, was Gabriele Senft publiziert, weiterzudenken lohnen.
Dem Verlag sei an dieser Stelle für den Spürsinn seiner Veröffentlichungen gedankt.