Trotz allem das Gute
27. November 2016
Max Mannheimer, Holocaust-Überlebender und großer Aufklärer, ist verstorben
»The times they are a-changin‘…«, hat der diesjährige Literatur-Nobelpreisträger Bob Dylan vor einigen Jahrzehnten gesungen. Manchmal kann so etwas dauern. Vor ziemlich genau zehn Jahren war in einem Kommentar in unserer Zeitschrift »antifa« zu lesen: »Schön wäre es, wenn der Elan, der von manchen Politikern in Sachen angeblich integrationsunwilliger Ausländer an den Tag gelegt wird, andere Wirkungsfelder fände. Dringend notwendig ist es, dass dieser sich endlich einmal gegen jene Inländer richtet, die den braunen Ungeist immer gewalttätiger verbreiten. Sie sind es doch vor allem, die sich nicht in eine demokratische Gesellschaft integrieren wollen – und sie bekunden das inzwischen auch ganz unverfroren.«
Der Autor dieses Gastkommentars war Max Mannheimer, Holocaust-Überlebender, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau und Vizepräsident des Comité International de Dachau. Seine damaligen Sätze lesen sich brandaktuell. Im Freistaat Bayern, der Heimat Mannheimers, und im Rest der Republik ist bis heute von jener damals geforderten Besinnung auf andere »Wirkungsfelder« – von einigen verbalen Unverbindlichkeiten abgesehen – kaum etwas zu spüren. Der »Zeitenwechsel« steht nach wie vor aus…
Am 23. September 2016 ist Max Mannheimer im Alter 96 Jahren gestorben. Derzeit vergeht kaum eine Woche ohne Gedenkveranstaltungen, ohne Medienbeiträge, die an die jahrzehntelange Aufklärungsarbeit des Verstorbenen in Schulen, Bildungsstätten, öffentlichen Institutionen erinnern. Das Wirken von Max Mannheimer, schon zu seinen Lebzeiten mit einer Fülle von höchsten deutschen und internationalen Auszeichnungen und Ehrungen gewürdigt, rückt mit seinem Tode und der damit verbundenen Erkenntnis, wie sehr er uns künftig fehlen wird, noch einmal deutlich ins öffentliche Bewusstsein. Wünschenswert wäre, dass damit auch der eine oder andere inhaltliche Standpunkt, den der ehemalige Häftling der Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz, Warschau und schließlich Dachau, vertreten hat, ebenfalls wieder ins Blickfeld kommt. Bei der Gedenkfeier im Oktober in München in den Räumen der Israelitischen Kultusgemeinde sprach neben anderen auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. »Das Echo seiner Worte wird nicht verhallen«, sagte er. Möge doch dieser Gedenkredner auch selbst einmal dem einen oder anderen Mannheimer-Echo ernsthaft lauschen.
Es stimmt schon: Max Mannheimer, am 6. Februar 1920 in einer jüdischen Familie im mährischen Neutitschein (Nový Jičín) geboren, hätte, so der Ministerpräsident, »allen Grund gehabt zur Verbitterung, zu Abscheu und Feindseligkeit«. Hatten die Nazis doch fast alle seiner Familienangehörigen ermordet. Aber Mannheimer habe, so Seehofer, gesagt: »Ich kann nicht hassen«.
Das ist so nicht falsch zitiert und doch sträflich verkürzt. In den von Marie-Luise von der Leyen dokumentierten Erinnerungen »Max Mannheimer. Drei Leben« (dtv, 2012) sagt der KZ-Überlebende: »Ich weiß, dass es eine Utopie ist, die Menschen verbessern zu wollen. Dennoch glaube ich an das Gute im Menschen. Trotz allem. Ich bin so erzogen worden und ich funktioniere immer noch so. Und ich halte an diesem Glauben fest, auch wenn er immer wieder einmal erschüttert wird. Sozusagen nach einem Motto von Bertolt Brecht: ‚Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren‹.« So wird aus diesem »Nicht-Hassen-können« doch eine ganz andere Maxime als sie manchen manchmal bequem wäre.
Der VVN-BdA und ihren Mitgliedern blieb Max Mannheimer freundschaftlich verbunden, seit er begonnen hatte, mit Berichten aus seinem Leben an die Öffentlichkeit zu gehen, nachdem 1985 in der ersten Ausgabe des von Barbara Distel und Wolfgang Benz herausgegebenen Jahrbuchs »Dachauer Hefte« seine 1964 aufgeschriebenen »Erinnerungen« an seine Konzentrationslager-Erfahrungen erstmals gedruckt veröffentlicht worden waren. Bis dahin hatte er darüber geschwiegen, versucht, mit bildkünstlerischen Mitteln die Zeit der Verfolgung in Farben und ungegenständlichen Formen für sich aufzuarbeiten.
Von 1986 an begann die Zeit vieler gemeinsamer Aktivitäten, der Zusammenarbeit in der Lagergemeinschaft Dachau, in deren Vorsitz er 1990 Eugen Kessler ablöste, der aus dem Münchner Arbeiterwiderstand kam. Stets setzte Max sich gegen die Nachstellungen ein, denen die VVN-BdA vor allem in Bayern durch den Verfassungsschutz und andere Behörden ausgesetzt war und ist. So zuletzt 2015 als einer der Erstunterzeichner der vom SPD-Landtagsabgeordneten Florian Ritter initiierten Petition »Für eine offene, demokratische Gesellschaft! Gegen die Diffamierung der VVN-BdA.«
Weit über Bayern hinaus bleibt Max Mannheimer vielen in der VVN-BdA und in ihrem Umfeld in Erinnerung als ein Freund, der Jung und Alt überzeugen konnte: mit seiner Menschlichkeit, seinem profunden Wissen und nicht zuletzt seinem Humor, den er trotz allem, was ihm widerfahren war, nie verloren hat.
Bücher von und über Max Mannheimer:
Max Mannheimer, Spätes Tagebuch. Theresienstadt-Auschwitz-Warschau-Dachau. Mit einem Vorwort zur aktuellen Ausgabe von Wolfgang Benz. Piper Verlag München
Max Mannheimer, Marie-Luise von der Leyen, Drei Leben. Erinnerungen, Deutscher Taschenbuchverlag München, dtv-Taschenbuch, Bd. 34841
Ilse Macek, Horst Schmidt (Hrsg.), Max Mannheimer – Überlebender, Künstler, Lebenskünstler, Volk Verlag München
Über seine Bilder:
Max Mannheimer, The Marriage of Colours. Die Vermählung der Farben, Hirmer Verlag München