Politische Kunst wirkt
7. Dezember 2017
antifa-Gespräch mit Heinz Ratz von der Band »Strom und Wasser«
antifa: Du bist mit deiner Band seit 15 Jahren in Deutschland unterwegs und machst politische Musik. Gab es in diesen Jahren Veränderungen in der Politik, die du wahrgenommen hast?
Heinz Ratz: Ganz eindeutig ja. Es hat eine Egoistisierung der Gesellschaft stattgefunden. Das persönliche Glück in Karriere und materiellem Besitz zu suchen, ist eine Selbstverständlichkeit geworden. Die politische Auseinandersetzung ist vulgärer geworden. Und der Faschismus, der in den gepflegten Vorgärten des Spießertums geschlafen hat, ist selbstbewusster auf die Straße gegangen.
antifa: In den letzten Jahren hast du oft mit geflüchteten Musikern gearbeitet. Wie sah das aus?
Heinz Ratz: Das ist ein sehr umfangreiches Projekt gewesen, das ich hier nur kurz umreißen kann. 2011 haben wir Flüchtlingslager besucht, um unsere Konzertzuschauer über die Lebensumstände dort aufzuklären und Gelder zu sammeln für den Rechtsschutz von Pro Asyl. Dann haben wir nochmal ca. 200 Lager besucht, um nach geflüchteten Musikern zu suchen, die dort leben. Wir wollten sie auf die Bühne holen, um nicht immer nur als Deutsche zu Deutschen zu reden, sondern den Geflüchteten selbst eine Stimme geben zu können. Das war ein Wahnsinnsprojekt: auf Tour jeden Tag Polizeikontrollen, Reiseverbote, Auftrittsverbote und anders als bei heutigen Projekten: kaum Förderungen und finanzielle Unterstützung. Wir haben zwei CDs mit ihnen produziert und 2012/2013 knapp 300 Konzerte gespielt. Wir haben die Zuschauer am kommenden Tag in die Lager mitgenommen. Wir haben Instrumente gesammelt (über 2.000) und weitergeben und wir haben 2014 eine spektakuläre Floßtour gemacht, mit abendlichen Konzerten und tagsüber Kinderprogramm mit Clowns und Puppenspielern in den Lagern – damit haben wir Hausverbote umgangen und konnten uns über die Situation geflüchteter Frauen informieren, denen diese Tour gewidmet war.
antifa: Du betonst besonders die Situation von geflüchteten Frauen. Haben sie noch unter anderen Bedingungen gelitten als die Männer?
Heinz Ratz: Gewalt gegen Frauen ist sehr oft sexualisierte Gewalt, Ausnutzung abhängiger Lebenssituationen bis hin zu Vergewaltigungen – mit der zusätzlichen Problematik, dass viele der Frauen aus Macho-Kulturen stammen, bewusst in den Hintergrund gedrängt werden, schweigen müssen und extrem scheu sind, wenn es darum geht, solche Themen öffentlich zu machen oder sich Fremden anzuvertrauen. Wir haben daher einen Schulterschluss mit der Organisation »Women in Exile« gesucht – selbstorganisierte, meist afrikanische Frauen, die uns begleitet haben und von Frau zu Frau die Situation in den Lagern angesprochen haben. Es ist da viel Schlimmes ans Tageslicht gekommen.
antifa: Ist Musik, oder allgemeiner Kultur, für dich eine Möglichkeit in die aktuelle Politik einzugreifen?
Heinz Ratz: Es ist für mich die charmanteste, nachhaltigste und wirksamste Art. Man kann Lebensfreude und politische Aussage kombinieren. Meine politischen Gegner zeichnen sich in der Regel genau dadurch aus, dass sie keine Freude am Leben haben und alles verbittert und verhärtet betrachten.
antifa: Mit deinem neuen Projekt »Büro für Offensivkultur« willst du dafür sorgen, dass Leute schnell auf neonazistische und rassistische Angriffe und Demonstrationen reagieren können. Kannst du uns das Projekt beschreiben?
Heinz Ratz: Es handelt sich um eine Art Notfall-agentur zum Schutze von Umwelt und Demokratie. Ein bundesweites Bündnis von Künstlern aller Art: vornehmlich Musikern, aber auch Tänzern, Akrobaten, Clowns, Puppenspielern, darstellenden und bildenden Künstlern, die bereit sind, in kürzester Zeit auf Menschenrechtsverletzungen, Umweltdelikte und Bedrohung demokratischer Strukturen zu reagieren. 2017 haben wir mit meiner Band »Strom & Wasser« 165 Konzerte eintrittsfrei, nur auf Spendenbasis, und vornehmlich in politisch »schwierigen« Regionen gegeben, um das Büro für Offensivkultur zu präsentieren und ein Netzwerk aus Unterstützern zu schaffen: Menschen, die bereit sind, im Notfall Übernachtungsplätze zu stellen, Bühnentechnik zu organisieren oder Werbung für die Aktion zu machen.
Das Interview führte Janka Kluge