Anpassung und »Ausmerzen«
24. Juni 2018
Aktion »Arbeitsscheu Reich« gegen »unliebsame Personen«
Vor 80 Jahren führten die deutschen Faschisten zunächst geheim die Aktion »Arbeitsscheu Reich« (ASR) durch. Grundlage dafür war ein Erlass zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung vom 14. Dezember 1937, der als Maßnahmenkatalog zur Überwachung von angeblichen und potenziellen (Wiederholungs-) Straftätern sowie zum Terror gegen politisch und anderweitig unliebsame Personen galt. Die polizeiliche Vorbeugehaft wurde auf sogenannte Asoziale erweitert, die ab Mitte 1941 direkt auf die »Ausmerze« verlagert wurde, da sie wegen vermeintlich erblicher Veranlagung zu »gesellschaftlich schädlichem Verhalten« neigten.
Der Aktion »Arbeitsscheu Reich« fielen außer Sicherungsverwahrten auch Menschen zum Opfer, die bereits dreimal ein halbes Jahr in Haft waren und potenziell wieder zu Tätern werden konnten oder auch solche, die den Staat nebst Behörden kritisierten und noch nie in Haft waren.
Daneben wurden als Juden Verfolgte wegen angeblicher Devisenvergehen verhaftet, sowie unangepasste Menschen, die die Normative der NS-Herrschaft nicht internalisiert hatten. Im Erlass stand: »…als asozial gilt, wer durch gemeinschaftswidriges Verhalten zeigt, dass er sich nicht in die Gemeinschaft einfügen…, sich der in einem nationalsozialistischem Staate selbstverständlichen Ordnung nicht fügen will.« Somit konnten auch Jungen und Mädchen verhaftet werden, wenn sie nicht zum HJ-Dienst gingen, wenn sie verbotene Musik wie Jazz hörten, wenn sie alleine oder zu zweit nach 22 Uhr unterwegs waren, wenn sie rauchten oder wenn sie im Schülertheater der Schule ein Stück von Lessing (Nathan der Weise) spielten.
Hauptinstrumente der Aktion »ASR« waren die »polizeilich planmäßige Überwachung« und die »polizeiliche Vorbeugehaft«, mit der die Kriminalpolizei das Recht erhielt, Menschen ohne richterlichen Beschluss zu überwachen und – i.d.R. in einem Konzentrationslager – unbegrenzt festzuhalten. Die Haftprüfung war erst im zweiten Haftjahr geplant, dann jährlich neu und nach vier Jahren vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei. In der ersten Phase der Aktion, die vom 21.-30.04. 1938 stattfand, wurden bis zu 2.000 Männer durch die Gestapo aufgegriffen. In der Juniaktion vom 13. -18. Juni 1938 wurden von der Kriminalpolizei mehr als 9.000 Männer verhaftet, darunter 2.300 Juden. Die jüdischen Männer waren in den KZs Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen besonders brutalen Schikanen ausgesetzt. Ab Jahresende 1938 wurde die Aktion öffentlich gemacht.
Vorläufer der Aktion ASR war ab Anfang 1933/34 die Verfolgung von Sinti und Roma, Vagabunden, Nichtsesshaften, Unterhaltssäumigen, Homosexellen, Prostituierten und armen Familien. Je nach neuem Gesetz wurden immer neue, nicht ins Schema der Nazis passende Gruppen zur »Ausmerze« freigegeben. Ab Juli 1933 folgten Kranke und schwer Behinderte nach dem »Erbgesundheitsgesetz«. Im Erlass zu Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 wurde von der Bestrafung der vollzogenen Straftat abgewichen und bereits der »Hang zum Verbrechen« verfolgt. Straftäter und -täterinnen wurden seitdem vermehrt in Arbeitshäuser und Trinkerheilanstalten eingewiesen, vor allem aber konnten »Rückfalltäter« nach Haftende in eine unbefristete »Sicherheitsverwahrung« überführt werden.
Bereits 1934 konnten nach § 361 StGB Menschen wegen Bettelei bzw. Landstreicherei mit Haft bis zu sechs Wochen bestraft werden, bzw. nach § 362 StGB bis zu zwei Jahren in Arbeitshäusern, eben aber auch nach den neu geschaffenen »Maßregeln der Sicherung und Besserung« alle wiederholt (»solange es der Zweck erfordert«) im Arbeitshaus untergebracht werden. Dies erklärt 1933/34 die Vorläufer der »Vernichtung durch Arbeit«, die sich besonders gegen Sinti und Roma, Bettler, Kriminelle richteten. Während vor 1933 bereits Formen der Verfolgung und Ausgrenzung von Einkommensarmen und Unangepassten, z. B. durch die Fürsorge, existierten, prägte der deutsche Faschismus nach biologistisch gesprägten Rassegesetzen eine neue Qualität des Umgangs mit den Unerwünschten. Nach der Rassenlehre der deutschen Faschisten galt die Familie als biologische Zelle des Volkes, durch die eine »Aufartung« der arischen Rasse erfolgen sollte. Alle Krankheiten, andere körperliche oder psychische Erscheinungen würden durch Blut und Gene verursacht. Das Auftreten in einer Familie stigmatisierte gleich alle Familienmitglieder als »unwert« und erschwerte oder verhinderte z. B. Eheschließungen. Das am 14. Juli 1933 verkündete »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« sah die Sterilisierung bei angeblichem Schwachsinn, »Schizoprenie«, »manisch-depressivem Irresein«, »erblicher Fallsucht«, »Veitstanz«, »erblichem Blindsein« und »Taubheit« sowie »schwerer körperlicher Missbildung« vor. Diese sozialrassistischen Regeln wurden nach 1938 auch auf Jugendliche, Kinder, Künstler, psychisch beschädigte Soldaten und Angehörige der Polizeiorgane ausgeweitet.