Zwangsarbeit und Tod
27. Juni 2018
Gedenktafel in Chemnitz erinnert an Rüstungsbetrieb
Am 13. April 2018 wurde am Eingang der Landesdirektion Sachsen in Chemnitz feierlich eine Gedenktafel für die rund 1600 sowjetischen Kriegsgefangenen, deportierten Zivilisten aus Ost- und Westeuropa und KZ-Häftlinge enthüllt, die zwischen 1939 und 1945 in der damals dort ansässigen Astra-Werke AG als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden.
Außenkommando des KZ Flossenburg
Von Oktober 1944 bis April 1945 befand sich zudem innerhalb des Geländes der Astra-Werke AG an der Altchemnitzer Straße ein Außenkommando des KZ Flossenburg. Noch heute steht eine Baracke am Rande der Heinrich-Lorenz-Straße, die damals als Unterkunft für die Häftlinge diente. Beispielsweise traf am 24. Oktober 1944 ein Transport von Frauen aus dem KZ Auschwitz ein. Sicher ist, dass diese 510 Frauen und Mädchen aus der Sowjetunion, aus Polen und Italien Sklavenarbeit leisten mussten. Die Astra-Werke AG, ursprünglich als Buchungsmaschinenwerk gegründet, war zur genannten Zeit hauptsächlich in die Rüstungsproduktion für die faschistische Wehrmacht eingebunden. Die Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter mussten mehr als zwölf Stunden am Tag Maschinenpistolen, Karabiner und Ausrüstung für U-Boote produzieren. An eine angemessene Ernährung war nicht zu denken. Dazu kamen die Schikanen der SS-Wachmannschaften. Nicht wenige der so Geknechteten kamen dabei ums Leben. Krankheiten, Unterernährung und Erschießungen wegen kleinster Vergehen zählten zu den Todesursachen. Kurz vor Kriegsende, im April 1945, gingen die KZ-Häftlinge auf Transport. Sie mussten in der Nacht vom 12. zum 13. April durch Chemnitz zum Bahnhof Hilbersdorf marschieren. Nachdem sie eingeschlossen in den Waggons eine Nacht ausharren mussten, fuhren sie in verschlossenen Güterwagen nach Leitmeritz (Litomerice). Dort zwangen die Faschisten sie abermals, bis zur Befreiung durch die Rote Armee in einer Munitionsfabrik in Hertine Frohnarbeit zu leisten.
Ehrung und Mahnung
Die Initiative für das Gedenken ging von der bürgerschaftlichen Initiative »Historischer Atlas Sachsen 1933-1945« unter Federführung des Zschopauer Historikers Dr. Hans Brenner aus. In enger Kooperation mit der Landesdirektion Sachsen und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Stadtverband Chemnitz, wurde es möglich, die Gedenktafel anzubringen. Eine Begleitausstellung informiert darüber hinaus über das zweifelhafte Engagement der Astra-Werke AG wärend der Zeit des deutschen Faschismus bis zur Befreiung durch die Rote Armee. In seiner Eröffnungsrede verwies der Landespräsident, Dietrich Göckelmann, auf die Notwendigkeit, diese Vergangenheit immer wieder ins Bewusstsein der Nachfolgegenerationen zu verankern. Göckelmann selbst gestand, bis vor kurzem überhaupt noch nicht darüber informiert gewesen zu sein, dass jenes Gebäude, in dem seine Behörde heute arbeitet, eine solche Vergangenheit hat. Genau so erginge es seinen Mitarbeitern. Er versicherte, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seiner Behörde dieser Verantwortung bewusst seien.
Es wurde höchste Zeit
Dr. Hans Brenner berichtete in seinem Vortrag noch einmal über die Entstehung der Initiative sowie über die Forschungsarbeiten des Autorenkollektivs. Kritisch setzte er sich mit der schleppenden Erforschung und Analyse der Zeit des Faschismus in den jeweiligen Territorien auseinander. Es sei nachdenkenswert, warum erst 73. Jahre nach dem Ende des Faschismus eine Ehrung stattfinden könne. Erst im Jahr 2010 habe der Freistaat Sachsen einen »Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen« veröffentlicht. Unergründlich, warum die Zeit zwischen 1933 bis 1945 in diesem Werk überhaupt keine Erwähnung fand. Dies war auch der Grund, warum sich Dr. Hans Brenner zusammen mit rund 50 Mitarbeitern an die Arbeit machten. Dabei verwies er auf das jüngst erschienene Buch, ein Ergebnis der Forschungen Dr. Brenners und seiner Mitstreiter, »NS-Terror und Verfolgung in Sachsen«, das unentgeltlich in der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung Sachsen bestellt werden kann.
Zu den Gästen der Veranstaltung gehörten u.a. der Italienische Honorarkonsul, Andreas Autmüller, Alexandr Levanovich, Gesandten-Botschaftsrat Weißrussland, Justin Sonder, Auschwitz-Überlebender und Ehrenbürger der Stadt Chemnitz, Siegmund Rotstein, Ehrenvorsitzender der VVN-BdA Chemnitz und ebenfalls Ehrenbürger von Chemnitz, Marga Simon, Tochter des Widerstandskämpfers Ernst Enge aus Chemnitz sowie die Vizepräsidentin des Landtages von Sachsen, Andrea Domios. Neben Vertretern des Land- und Bundestages, der Jüdischen Gemeinde und Mitglieder der Stadtratsfraktionen konnten auch rund 20 Zehntklässler aus dem Chemnitzer Kepler-Gymnasiums begrüßt werden.
Für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung sorgten Ludwig Streng und Sabine Kühnrich vom Trio »Quijote«. Jonny Michel