Mehr Schein als Sein?

geschrieben von Thomas Willms

5. August 2018

Die AfD vor ihrem Bundesparteitag

Der erste Zyklus der Beteiligung der AfD an Wahlen geht dieses Jahr mit den Landtagswahlen in Hessen und Bayern zu Ende. Ihr Erfolg begann 2014 mit den Europawahlen und ist mitnichten ein fortwährend wachsender gewesen, auch wenn immer die 5%-Hürde übersprungen wurde. Überraschend schlecht war z.B. 2015 das 5,5%-Erlebnis in Bremen, eigentlich seit Jahrzehnten ein Wahllabor der extremen Rechten.

Es gibt nicht nur deutliche Schwankungen im zeitlichen Verlauf, sondern auch klare regionale Unterschiede. Die Grenzen der DDR tauchen in der Wahlgeographie der letzten Bundestagswahl wieder auf, denn sie zeigen das Gebiet, in dem die AfD etwa doppelt so viele Stimmen erhalten hat, wie in den alten Bundesländern. Die Steigerung davon ist wiederum Sachsen, mit etwa dreimal so vielen Stimmen.

Die Zeit der einfachen Expansion geht nun aber zu Ende. Ab 2019 kommen die bisherigen Wählerinnen und Wähler in die Situation, die Investition ihrer Stimme in die AfD zu überprüfen. Zur Geschichte der extremen Rechten gehört, dass diese Überprüfung i.d.R. negativ ausfiel und auch größere Erfolge in sich zusammenfielen, was den AfD-Anführern selbstverständlich bewusst ist.

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die Mitgliederzahlen als eines Indikators für die gesellschaftliche Verankerung. Die AfD hat zurzeit wohl etwa knapp 30.000 Mitglieder, wovon fast die Hälfte erst »nach Lucke« eingetreten ist. Sie sind also trotz oder vermutlich genau wegen der Rechtsentwicklung der Organisation dazugestoßen. Gleichzeitig ist die Organisation nur etwa halb so groß wie Grüne, FDP und Linke. Noch größer ist der Unterschied zu SPD und CDU mit je ca. 430.000 Mitgliedern. Die Prognosen lassen die zu erwartenden Wahlergebnisse für AfD und SPD aber immer stärker konvergieren, auf etwa 16% zu 18%.

Die AfD kämpft also bei weitem oberhalb ihrer Gewichtsklasse und täuscht eine gesellschaftliche Verankerung vor, die so noch nicht besteht. Überwiegend ist eine AfD-Mitgliedschaft ein Malus, kein Bonus. Dazu kommt der Widerspruch, dass die AfD eine Partei ist, die eigentlich gar keine sein will, eine wesentliche Erhöhung der Mitgliederzahlen also nicht zu erwarten ist.

Was ihr Hauptthema angeht, muss die AfD gegenwärtig nicht viel anderes tun, als die Schürze aufzuhalten. Parteipolitiker und ein großer Teil der Medien überbieten sich darin, einzelne Fälle von Kriminalität der Gesamtheit der Flüchtlinge zuzuschreiben und immer extremere Maßnahmen zu fordern, um sie fern zu halten – dies vor dem Hintergrund eines zunehmend gewalttätigen staatlichen Rassismus z.B. in Italien und Österreich.

Imaginiert wird dabei ein Volkswille, den es so gar nicht gibt. Langfristige Umfragen zeigen, dass das Merkel-Wort »Wir schaffen das« von einer nicht überwältigenden, aber stabilen Mehrheit geteilt wird. Die Flüchtlingsfeinde sind deshalb unter Zeitdruck. Keine Kampagne kann ewig in derselben Intensität geführt werden, vor allem nicht, wenn die Fakten und Tendenzen (eine angesichts der Umstände auffallend geringe Kriminalität unter Flüchtlingen, zunehmende Integration in den Arbeitsmarkt, das Schulwesen usw.) dagegen sprechen.

Die programmatischen Leerstellen der AfD werden nur langsam gefüllt. Dieses Zögern wundert nicht, machen klaren Aussagen zu Sachthemen doch auch angreifbar. Zwar bewegen sich AfD-Anhänger häufig in einem medialen Parallel-Universum und halten alles, was den eigenen Vorurteilen widerspricht, gern für Fake-News. Für eine gesellschaftliche Mehrheit reicht das aber nicht. Auch Höcke weiß das, der deshalb am offensichtlichsten einen latenten Putschismus betreibt. Die Macht über die Straße und die Betriebe zu gewinnen, ist ihm mindestens so wichtig, wie Provokationen in den Parlamenten.

Die demokratisch-bürgerliche Verpackung ist wichtig und muss aufrecht erhalten bleiben. Auf der Führungsebene ist dies insbesondere die Aufgabe Jörg Meuthens, der sich keineswegs in einem inhaltlichen Konflikt mit Gauland und Höcke befindet, sondern die beiden vielmehr in einer funktionierenden Arbeitsteilung immer wieder deckt. Die schweren Fraktionskämpfe sind mit dem Weggang von Petry zum Erliegen gekommen und die AfD-Fraktionen in den Parlamenten halten im Wesentlichen zusammen.

Ganz wichtig sind diese Parlamentsfraktionen dafür, der Partei den Anschein von »Normalität« zu verleihen. Viele hundert Abgeordnete und Mitarbeiter, die aus verschiedenen rechten Strömungen zusammengesucht wurden, müssen sich erst finden, austauschen und Schlagkraft aufbauen. Sie richtet sich auch zunehmend auf die direkten politischen Gegner aus dem antifaschistischen und antirassistischen Bereich. Thomas Willms

Unglücklicherweise steht 2019 die sächsische Landtagswahl an. Sie wird der eigentliche Systemtest sein. Man muss zurzeit davon ausgehen, dass die AfD stärkste Partei wird, was in Zusammenhang mit einem besonders rechts stehenden CDU-Landesverband die Möglichkeit eines AfD-Ministerpräsidenten eröffnet. Die ausstehenden katastrophalen Folgen für alle und alles, was auch nur irgendwie fortschrittlich in Sachsen ist, sind offenbar noch nicht richtig deutlich geworden.