Lager, Revolte, Flucht
26. November 2018
Die Erinnerungen des Treblinka-Überlebenden Samuel Willenberg
Als 20-jähriger wird Samuel Willenberg 1943 ins Vernichtungslager Treblinka verschleppt. Auf eindrucksvolle Weise berichtet er in seinen erstmals 1986 in hebräischer Sprache erschienen Buch über den täglichen Lagerablauf dort. Er überlebt dank seiner sportlichen Verfassung, der Unterstützung durch Leidensgefährten und einer Reihe von glücklichen Zufällen. Er schreibt ohne Pathos, aber der tiefe Schmerz über den Verlust seiner ermordeten Familienmitglieder und Leidensgefährten durchdringt den Bericht. In Częstochowa geboren, wo sein Vater Kunst unterrichtet, meldet er sich als 16-jähriger September 1939 zum polnischen Militär und wird verwundet. Die Familie geht unter falscher Identität nach Opatow, wo er 1942 denunziert und abtransportiert wird. Verzweiflungsschreie und Resignation der Deportierten lässt Willenberg spürbar werden. 120 Menschen werden in einen Viehwagon eingepfercht. Der Zug mit 20 Waggons endet scheinbar in einem Wäldchen, dem Vernichtungslager Treblinka.
Als vermeintlicher Maurer überlebt Samuel Willenberg in verschiedenen Arbeitskommandos, hört täglich neue Züge voller todgeweihter Menschen ankommen. Er sortiert Brillen, Löffel, Rasierapparate, Uhren, aus zehn Meter hohen Bergen von Kleidung, Schuhen, Koffern und Rucksäcken. Die Kleidung wird nach eingenähten Wertgegenständen, Goldstücken, Banknoten peinlichst durchsucht. Es sind die Hinterlassenschaften Tausender von Menschen, die nackt ins Gas getrieben werden. Die Auspuffgase kommen aus einem erbeuteten russischen Panzermotor. Die Gaskammern liegen abgeschirmt hinter einem riesigen Erdwall. Pässe, Familienfotos, Briefe, Zeugnisse bringt Samuel Willenberg zum Verbrennen ins Lazarett, wo Kranke von einem ukrainischen Trawnik nach Betäubung durch Schüsse in den Hinterkopf getötet und in eine brennende Grube gestoßen werden. Waggons voller Kleiderbündel und Koffer, gefüllt mit Wertgegenständen, verlassen das Lager. Über allem liegt der süßliche Verwesungsgeruch.
Samuel Willenberg wechselt ins Kommando »Tarnung«, das Äste und Büsche zur Abschirmung der Baracken vor der Umgebung aus dem Wald holt. Es gibt dort etwas mehr zu essen. Im März 1943 beginnt die Registrierung der Männer in den Kommandos. Im Sommer wird das Lager mit Eisenböcken und Stacheldraht befestigt. Für das Waffenarsenal wird ein festes Haus gebaut. Die zuvor vergrabenen und mit Kalk bedeckten Toten werden ausgegraben und auf Rosten aus Eisenbahnschienen verbrannt. Am Nachmittag des 2. August holt die Aufstandsbewegung Waffen aus den Verstecken, Pistolen, aber auch Zangen, Hämmer, Äxte zur Überwindung der Umzäunung. Teile der Wachmannschaften und SS sind zu ihren Familien gefahren. Der Ausbruch gelingt einem Teil der Todgeweihten.
Samuel Willenberg schlägt sich auf geheimen Wegen bis Warschau durch, Częstochowa und Opatow erweisen sich als zu gefährlich zum Bleiben. Er trifft seinen Vater wieder, der sich als Maler von Heiligenbildern über Wasser hält. Willenberg nimmt am Warschauer Aufstand der polnischen Heimatarmee teil und erlebt die Kapitulation Bor-Komorowskis vor den Deutschen nach wenigen Monaten erbitterter Kämpfe. Er erlebt den Verrat an den Widerstandsgruppen, die nicht direkt der Heimatarmee angehören, und die Auslieferung enttarnter jüdischer Partisanen. Er hat seinen Anteil an der Rettung zweier Brücken für die sich nähernde russische Front. 1950 emigriert er nach Israel. Seit 1983 verarbeitet er das Erlebte in Vorträgen vor Schulklassen und in Skulpturen.