Braune Tradition der Esoterik
6. Dezember 2020
Über germanische Glaubenswelten, völkische Ideologie und die Rolle im deutschen Faschismus
Eine wenig bekannte Traditionslinie des deutschen Faschismus ist die Verbindung zur Esoterik. Diese Linie lässt sich bis in die Romantik zurückverfolgen, die Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland ihre Hochzeit hatte. In Abkehr von der Klassik und vor allem der Aufklärung beschrieben Schriftsteller eine geheime Erlebniswelt im Inneren, die sich nach ihrer Vorstellung in der Natur spiegelte. Daraus ergab sich die Vorstellung, dass es eine besondere germanische Glaubenswelt gibt, die wiederentdeckt und neu belebt werden sollte. Mit der Industrialisierung und der damit verbundenen Verarmung großer Teile der Bevölkerung, wuchsen Bewegungen, die die Schuld an der gesellschaftlichen Situation den Juden zuschrieben. Die ab Mitte des 19. Jahrhunderts erstarkte antisemitische Bewegung legte großen Wert auf die Feststellung, dass ihr Antisemitismus im Gegensatz zum früheren Antijudaismus die religiöse Argumentation nicht mehr braucht. Jüdisch war man nach dieser Zuschreibung, wenn man ›jüdisches Blut‹ hat. In dieser Argumentation war es dann auch wichtig zu betonen, dass nur Menschen mit sogenannten germanischen oder arischen Wurzeln hier leben dürfen. Um diese rassistischen Thesen untermauern zu können, entstanden Vereine, die sich mit Religion und Kultur der Germanen beschäftigten. Damit war die Grundlage der völkischen Ideologie geschaffen.
Ursprünge der Esoterik
Viele esoterische Gruppen lassen sich auf die Theosophische Gesellschaft zurückführen. Sie wurde von der Russin Helena Blavatsky und dem Amerikaner Henry Steel Olcott 1875 in den USA gegründet. Sie gingen davon aus, dass es eine gemeinsame Essenz aller Religionen gibt und sich Gott in allen offenbart. 1873 zogen die beiden nach Indien und verlegten den Sitz der Gesellschaft in die Stadt Adyar. Von der Theosophie haben sich im Laufe der Jahre mehrere Gruppen abgespalten. Die beiden wichtigsten waren die Anthroposophie und die Ariosophie. Ein Teil der deutschen und österreichischen Mitglieder geriet durch die Zuwendung der Gesellschaft zum Hinduismus und Buddhismus immer mehr in die Opposition. Sie versuchten wie Guido List und Jörg Lanz von Liebenfels in Artikeln und Büchern, eine rassistische Glaubensgruppe zu etablieren. Jörg Lanz von Liebenfels gründete 1905 die Zeitschrift »Ostara«.
Die Religionswissenschaftlerin Stefanie von Schnurbein zitiert in ihrem Buch »Göttertrost in Wendezeiten« eine Programmatik, die in der Ostara-Ausgabe 24 zu lesen war. Die »einzige und erste rassenwirtschaftliche Zeitschrift, die die Ergebnisse der Anthropologie praktisch in Anwendung bringen will, um den Umsturz und das Urrassentum wissenschaftlich zu bekämpfen und die europäische Edelrasse durch Reinzucht vor dem Untergang zu bewahren.« (S. 36) Die Ostara-Hefte trugen wesentlich zur Verbreitung der rassistischen Ideen bei. Lanz von Liebenfels war es auch, der 1915 in einem Artikel den Begriff der »Ariosophie« prägte. Dadurch war die Trennung von der Theosophie vollzogen. Die Historikerin Brigitte Hamann hat in ihrem 1996 erschienenen Buch »Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators« geschrieben, dass Hitler immer wieder die Ostara-Zeitschrift gelesen habe. Ein enger Freund von Lanz von Liebenfels war Guido List. Nach einer Augenkrankheit, die ihn zeitweise erblinden ließ, glaubte er sich an frühere Leben zu erinnern. Er behauptete, durch »Schauungen« den Ursprung und die wahre Bedeutung der Runen gefunden zu haben. Aus den Runen sollen sich nach List auch die Sprachen entwickelt haben.
»Dummer Kerl von Wien«
Sein erstes Buch, dass er nach diesen »Schauungen« veröffentlicht hat, legte er 1903 der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien vor. Die Akademie hat darauf nie reagiert. Es hat auch nicht zum Erfolg geführt, als 15 angesehene Personen einen Appell unterzeichneten. Dadurch wurden seine Thesen aber einem größeren Kreis bekannt. Um ihn zu unterstützen, gründeten seine Mitstreiter 1908 die Guido-von-List-Gesellschaft, die auch seine Schriften herausgab. Zu den Unterstützern gehörten nicht nur Lanz von Liebenfels, sondern auch der Industrielle Friedrich Wannieck, Wiens Altbürgermeister Josef Neumaier und sein Nachfolger Karl Lueger. Heinrich Mann beschrieb das politische Klima in Wien zur Zeit Luegers in seinem autobiographischen Buch »Ein Zeitalter wird besichtigt«: »Der Antisemitismus, dieser steckengebliebene Sozialismus des ›dummen Kerls von Wien‹, wie man zur Zeit des Bürgermeisters Lueger sagte, ist endlich doch die ganze – die ganze – geistige Grundlage einer versuchten Welteroberung geworden.«
Guido von List gründete 1911 mit großzügigen Spenden ausgestattet den Hohen Armanen-Orden. Nach der Überzeugung Lists waren die Armanen die letzten Priester der Germanen. Bereits ein Jahr zuvor hatte Philipp Stauff, später Präsident der Guido-von-List-Gesellschaft, zusammen mit anderen Theosophen beschlossen, eine Gruppe gegen die angebliche jüdische Weltverschwörung zu gründen. 1912 wurde dann der Germanen-Orden gegründet. Die Satzung schrieb vor, dass nur Personen mit »germanischer Abstammung« Mitglied werden dürfen. Die Mitglieder des Germanen-Ordens waren eng mit dem Reichshammerbund verbunden. Der Bund war 1912 in Leipzig vom antisemitischen Schriftsteller und Verleger Theodor Fritsch gegründet worden. Er gab die Zeitschrift »Der Hammer« heraus. 1919 schlossen sich viele völkische und antisemitische Gruppen zusammen und gründeten den Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund. Nach dem Mord an Außenminister Rathenau wurde der Schutzbund wegen seiner offensichtlichen Beteiligung an dem Attentat in mehreren Ländern verboten. Viele der Mitglieder traten später der NSDAP bei. Eng mit der ariosophischen Bewegung ist auch der Name Rudolf von Sebottendorff verbunden. Er wurde 1916 Mitglied des Germanen-Ordens und gründete 1918 mit der Thule-Gesellschaft eine eigene Organisation. Ebenfalls 1918 kaufte er die Zeitung Münchener Beobachter und Sportblatt. Im August 1919 änderte er den Namen in Völkischer Beobachter. Bereits ein Jahr später musste er die Zeitung wegen finanzieller Probleme an Dietrich Eckart verkaufen, der dann daraus die Parteizeitung der NSDAP machte. Die Thule-Gesellschaft war Treffpunkt später führender Nationalsozialisten wie Rudolf Hess und Alfred Rosenberg.
Himmlers Ahnenerbe
In der frühen Phase der NSDAP spielten Mitglieder ariosophischer Gruppen zwar eine wichtige Rolle, sie wurden aber ab Ende der zwanziger Jahre an den Rand gedrängt. Hitler machte sich in seinem Buch »Mein Kampf« sogar über sie lustig. Nach der Machtübertragung wurden die ariosophischen Organisationen zusammen mit anderen Gruppen zu »staatsfeindlichen Sekten« erklärt. 1937 wurden die kleinen religiösen Gruppen, darunter auch die ariosophischen, verboten. Obwohl sie jetzt in der Öffentlichkeit nicht mehr in Erscheinung treten konnten, wurden einzelne ihrer Vertreter weiter gefördert. Heinrich Himmler, ein überzeugter Anhänger der Ariosophie, holte viele in die SS. Er schuf mit dem Ahnenerbe eine eigene Abteilung, in der sie Unterschlupf fanden. Himmler wollte aus der SS einen Orden schaffen, der nach der Unterwerfung der Welt die offizielle religiöse Organisation in Deutschland sein sollte. Nach diesen Plänen sollten die christlichen Kirchen dann verboten werden. Himmler schuf in der Wewelsburg einen ersten Ort der geplanten religiösen Organisation. Zentral in der Wewelsburg, die von KZ-Häftlingen umgebaut wurde, ist ein großer Saal, in dessen Boden eine »Schwarze Sonne« eingelassen ist. Dieses Symbol wird seit Jahren von Nazis als Ersatz für das Hakenkreuz genutzt.
Auch Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess interessierte sich für Esoterik und Astrologie. Vor seinem Flug nach Schottland 1941 ließ er sich die Sterne deuten. Er wollte sicher sein, dass sein Vorhaben unter einem guten Stern steht. Sein Ziel war es, mit England über einen Waffenstillstand zu verhandeln, um dann gemeinsam gegen die Sowjetunion zu kämpfen.
Nach dem Flug wurden in ganz Deutschland bekannte Ariosophen und Astrologen verhaftet und teilweise ins KZ gebracht.
Nach der Befreiung vom Faschismus gaben sich deswegen die Ariosophen als verfolgt aus und konnten die Gruppen wieder gründen. Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit entstand so ein Netzwerk, in dem die rassistische und faschistische Ideologie der Nazis weiterlebte. Einige der Gruppen, wie die Arbeitsgemeinschaft naturreligiöser Stämme Europas (ANSE), suchten in den siebziger Jahren die Zusammenarbeit mit der neu entstandenen Esoterikszene. Bis heute lassen sich die Einflüsse dieser Gruppen dort nachweisen.