Bleib ein Mensch, Kamerad
5. September 2013
Erinnerung an den österreichischen Dichter Jura Soyfer
Nov.-Dez. 2012
Von der vierbändigen Jura-Soyfer-Werksausgabe aus dem Wiener Deuticke Verlag sind derzeit noch die Bände 1 (Lyrik) und 4 (Briefe) erhältlich.
In der Lagergemeinschaft Dachau gab es einen ehemaligen Gefangenen, der jedes Mal zusammenzuckte, wenn bei irgendeiner Feierlichkeit ein Chor den Refrain des »Dachauliedes« anstimmte. »Ich kann’s einfach nicht hören«, meinte er dann, »dieses ‚…und wurden stahlhart dabei‘. So war es doch nicht, ganz fürchterlich ist es uns meistens gegangen und das ‚Stahlharte‘, das haben bloß die Nazis draufgehabt mit ihrem ‚hart wie Kruppstahl‘.« Der Mann war alles andere als ein »Weichling«, er war ein überzeugter und tapferer »Politischer«, der auch nach der Befreiung 1945 bis zu seinem Lebensende aktiv blieb gegen alte und neue Nazis, für eine Welt des Friedens und der Freiheit und dafür auf die Straße ging. Aber mit »stahlhart« hatte er nichts am Hut.
»Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt, / Und wir wurden stahlhart dabei. / Bleib ein Mensch, Kamerad, / Sei ein Mann, Kamerad, / Mach ganze Arbeit, pack an Kamerad: / Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei«: so der »Dachaulied«-Refrain in voller Länge. Es stammt aus dem Jahr 1938, wurde im KZ geschrieben von Jura Soyfer und komponiert von Herbert Zipper. Über die Verbreitung des Liedes unter den Gefangenen ist kaum etwas bekannt; der Komponist, wie der Verfasser der Strophen ein Österreicher, kam noch im gleichen Jahr frei und das Lied wohl über ihn in die englische Emigration, wo es erstmals als »Dachauerlied« 1939 in der Publikation »Young Austria« veröffentlicht wurde.
Würde es sich mit dem Werk so verhalten, wie derzeit auch bei Wikipedia nachzulesen ist, möchte man dem kritischen ehemaligen Dachauhäftling beipflichten: »Das Dachaulied«, steht da, »ist ein Marsch- und Durchhaltelied aus dem KZ Dachau aus dem Jahr 1938.« Aber ist es das wirklich – oder vielleicht doch etwas ganz anderes? Die zweite Strophe geht so: »Vor der Mündung der Gewehre / Leben wir bei Tag und Nacht. / Leben wird uns hier zur Lehre, / Schwerer, als wir’s je gedacht. / Keiner mehr zählt Tag‘ und Wochen, / Mancher schon die Jahre nicht. / Und so viele sind zerbrochen / Und verloren ihr Gesicht.«.
Da sind sie eigentlich ganz nah beieinander, der Verfasser des Dachauliedes und sein KZ-Leidensgenosse und späterer Kritiker. Mit dieser Zustandsbeschreibung wäre letzterer bestimmt einverstanden gewesen. Er war und ist bis heute nicht der einzige, der nicht gemerkt hat, wie der Dichter Jura Soyfer im Refrain mit Worten und Begriffen, nicht zuletzt jenen aus dem »Wörterbuch des Unmenschen«, ein sehr differenziertes Spiel treibt. »Arbeit macht frei« ist ja die zynische Losung, die, in Eisen geschmiedet, die Häftlinge am Lagertor des KZ Dachau empfängt.
Jura Soyfer, wäre am 8. Dezember 2012 hundert Jahre alt geworden. Nur ein Viertel dieser Zeit hatte er zum Leben. Nach drei Monaten im KZ Dachau wird der Jude und Kommunist nach Buchenwald deportiert und fällt dort am 16. Februar 1939, 26 Jahre alt, einer Typhusepidemie zum Opfer. In seiner Wiener Heimat und ein Stück darüber hinaus hatte er sich in den Jahren davor schon als Lyriker und Dramatiker, Satiriker und Kabarettist einen gewissen Namen gemacht, in politisch linksgerichteten Umfeldern zumindest und schon vor dem »Anschluss« Österreichs an Nazideutschland auch bei den austrofaschistischen Verfolgungsbehörden.
Bereits 1932, vermerkt der Biograph und Herausgeber der Werke Soyfers, Horst Jarka, habe der Student als »Sonderkorrespondent« der sozialdemokratischen Wiener »Arbeiterzeitung« eine »Tippeltour« ins damalige Deutschland unternommen und eine seiner Reportagen mit dem Satz eingeleitet: »Die Zukunft Deutschlands ist nicht nur grau, sie ist feldgrau«. Wie viele linke Sozialdemokraten wendet sich Soyfer, Sohn eines ukrainischen Fabrikbesitzers, dessen Familie 1920 nach Österreich geflüchtet war, nach den Februarkämpfen 1934 enttäuscht von den Sozialdemokraten ab und der verbotenen KPÖ zu. Von dieser Zeit handelt ein Romanfragment des jungen Autors: »So starb eine Partei«.
Die wenigen Schaffensjahre, die Jura Soyfer vergönnt waren, nutzte er für ein umfangreiches Werk: Volkstheater in der Nestroy-Tradition, Revuen und Agitpropstücke, Gedichte und Songs. Der 100. Geburtstag in diesem Jahr hat in Wien aber auch andernorts Wieder- und Neubegegnungen mit Soyfers Schaffen möglich gemacht, zum Teil unter Mitwirkung namhafter Künstlerinnen und Künstler. Und bei Youtube kann heutzutage unter anderem die Interpretation des »Dachauliedes« durch die Wiener Gruppe »Schmetterlinge« aus den 80er-Jahren abgerufen werden, die beweist, dass es schon damals möglich war, daraus alles andere als ein »Marsch- und Durchhaltelied« zu machen.