Des Verdachts verdächtig
5. September 2013
Die VVN-BdA im Zerrspiegel des bayerischen Verfassungsschutzes
Mai-Juni 2012
Der Faschismus ist in der bürgerlichen Gesellschaft entstanden und der faschistische Staat eine verwirklichte Möglichkeit, in dieser Gesellschaft politische und geistige Macht auszuüben. Diese Prägung kann eine bürgerliche Gesellschaft annehmen. Sie muss es nicht. Wären die Antifaschisten von Alternativen zum Weg in das Hitlerreich nicht überzeugt gewesen, woher hätten sie Kraft und Ausdauer für ihren am Ende erfolglosen Widerstand genommen?
Seit Jahrzehnten schon erscheint die Organisation der VVN-BdA im Bericht des Verfassungsschutzes des Freistaats als eine in ihren Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, also gegen die Verfassung gerichtete Organisation. Das wollen sich deren Mitglieder nicht länger nachsagen lassen und haben dagegen Klage eingereicht. Das wiederum hat die Verfasser zu einer Rechtfertigungsschrift gezwungen, die im Fachausdruck Klageerwiderung heißt. Der vielseitige Text gibt – dies vorweg – einen Fingerzeig für jene Parlamentarier, die im Untersuchungsausschuss des Bundestages derzeit nach den Ursachen dafür fahnden, warum mörderische Nazis über Jahre ihr Unwesen inmitten der Gesellschaft treiben konnten. Auch für die Verfassungsschützer hat der Tag nur 24 Stunden. Sie können die Arie des Figaro singen: »Alles auf einmal, ich kann nicht mehr«. Sie mussten wählen und haben sich beim Einsatz ihrer Kräfte eben für (besser: gegen) den »Linksextremismus« entschieden.
In unserem Falle gilt den Verfassungsschützern als ein »Linksextremist«, wer die marxistische, gemeint ist die 1933/1935 gegebene Definition des Faschismus verficht, weil das für das Verständnis von Antifaschismus Konsequenzen habe. Nun wissen die Schlapphüte immerhin, dass Programm und Satzung der VVN-BdA ihren Mitgliedern nicht vorschreiben, was sie unter den Begriff Faschismus zu fassen haben. Auch bezichtigen sie die Organisation als Ganzes nicht durchgehend dieses Verständnisses. Doch lautet ihre These: Seit der Gründung der Organisation vor nunmehr 65 Jahren würden Mitglieder sie maßgeblich prägen, die eben diese Sicht teilen und verbreiten. Wie im Weiteren daraus ein grundgesetzfeindlicher Standpunkt konstruiert wird, mag dem einen Zeugnis der intellektuellen, anderen Ausweis für die moralische Verfasstheit der Autoren der Klageerwiderung sein. Diese haben übrigens, anders als in der Wissenschaft und auch sonst in theoretischen Kontroversen üblich, dem von ihnen kritisierten Verständnis von Faschismus ein eigenes nicht entgegen zu setzen. Das erleichtert das Konstruieren und Phantasieren erheblich.
Im Faschismusverständnis der »kommunistische orientierten Linksextremisten«, behaupten die Verfasser des Textes sodann, würden »alle nichtmarxistischen Systeme, unter ihnen die parlamentarische Demokratie, als potentiell faschistische bzw. als Vorstufe zum Faschismus betrachtet«. Wer hätte aber je behauptet, dass das Römische Reich, das doch gewiss kein »marxistisches System« war, mit dem Faschismus schwanger gegangen wäre? Wer das gleiche vom Kaiserreich Wilhelms I. und des II.? Als ein Irrtum wird des weiteren apostrophiert, dass »der staatsmonopolitische Kapitalismus die in der Gesellschaft vorhandenen faschistischen Tendenzen für seine Politik nutze?« Wessen Arbeit haben die Braunhemden denn in der Weimarer Republik mit ihrem Kampf gegen die politische und die Gewerkschaftsbewegung der Proletarier gemacht? Warum hat sie keine Regierung dieser Republik verboten? Es war Kurt Schumacher, dem nicht Unrecht getan wird, nennt man ihn einen Antikommunisten, der in seiner letzten öffentlichen Rede 1933 in Stuttgart davon sprach, dass sich da die Macht des Kapitals etabliere.
Unsinn ist auch, was weiter beweislos getextet wird, aus dem historisch-materialistischen Verständnis folge, dass »die Bundesrepublik in der Kontinuität des nationalsozialistischen Regimes stehen« würde. Sie entstand, wie auf andere Weise auch die DDR, als eine Alternative, als ein Weg aus der »braunen« Vergangenheit. Und die Kontinuität zwischen der heutigen Gesellschaft in Deutschland zu der bis 1945 existierenden besteht nicht in ihrer politischen sondern in ihrer ökonomischen Verfasstheit, insbesondere in ihren Eigentumsverhältnissen. Doch Differenzierung ist offenkundig nicht die Stärke der Verfassungsschützer, namentlich nicht, wenn sie nach »links« blicken und es obendrein um verwickeltere soziale Zusammenhänge geht.
Der gedankliche Trickbetrug dieser Klageerwiderung besteht darin, dass die bürgerliche Gesellschaft und das Grundgesetz der Bundesrepublik in eins gesetzt werden. In Wahrheit schreibt dieses Gesetz fest, in welchem Rahmen sich die politischen Kämpfe im Staat abzuspielen haben, aber es deklariert die bürgerliche Gesellschaft samt deren Eigentums- und Herrschaftszuständen nicht als die letzte und einzig zu bejahende Stufe der Organisation menschlichen Zusammenlebens. Die Interpretation der Klageerwiderung ist durch den Verfassungstext nicht gedeckt. Diese »Ausweitung« wird indessen nicht nur in ihr vorgenommen. Es ist verständlich, dass die in einer Gesellschaft Herrschenden den Beherrschten schon das Nachdenken und die Verständigung über grundlegend andere Zustände als jene verbieten möchten, unter denen sie leiden oder die sie gefährden oder die sie schlicht als unmoralisch ansehen. Das hat jedoch noch nie ganz funktioniert.
Was die VVN-BdA anlangt, so vereint sie Menschen, die schon in dieser Gesellschaft ohne Faschisten leben möchten. Zu ihren maßgeblichen Mitgliedern gehören übrigens Frauen und Männer, die in diesem Staat hohe Auszeichnungen für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte erhielten.