Ein dunkles Kapitel

geschrieben von Axel Holz

5. September 2013

Geheimes rechtes Netzwerk während des Kalten Krieges

Juli-Aug. 2008

Daniele Ganser

NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, Orell Füssli Verlag AG, Zürich 2008, 29, 00 Euro.

Bei einem Terroranschlag auf den Bahnhof von Bologna starben am 28. Mai 1980 85 Menschen, weitere 200 Personen wurden schwer verletzt. Damals wurde die Schuld den terroristischen »Roten Brigaden« in die Schuhe geschoben. Mittlerweile wurden in einem rechtstaatlichen Prozess die wirklichen Täter dieses Anschlages verurteilt – Rechtsradikale, die einem geheimen rechten Netzwerk angehörten

Die Wochenzeitung »Freitag« machte kürzlich auf ein Buch über die NATO-Geheimarmeen in Europa während des Kalten Krieges aufmerksam, die bis 1990 bestanden. Ein Blick in die 2008 erstmals in deutscher Sprache erschienene Dissertation des Schweizer Historikers Daniele Ganser über inszenierten Terror und verdeckte Kriegsführung im Westen Europas lohnt sich.

Weithin unbekannt und für viele Demokraten nahezu unglaublich wurde ein Netz von Geheimarmeen mit moderner militärischer Ausrüstung und Hunderten von Waffendepots in allen europäischen NATO-Staaten und darüber hinaus in der neutralen Schweiz, in Österreich, Schweden und Finnland geschaffen. Es existierte fast 40 Jahre ohne Wissen und Zustimmung der Parlamente und Regierungen von den Regierungschefs und wenigen Ministern abgesehen.

Das Beschriebene liest sich wie ein Handbuch psychologischer Kriegsführung in Friedenzeiten. Um einem befürchteten militärischen Angriff der Sowjetunion vorzubeugen, wurden Erfahrungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges genutzt, bereits in Friedenszeiten nationale Geheimarmeen für militärische Guerillaaktionen im Hinterland zu bilden sogenannte »stay-behind-Armeen«. Rekrutiert wurden dafür bevorzugt Antikommunisten, Nazis und Rechtsradikale, die wiederum nicht selten in den nationalen Geheimdiensten ihrem Broterwerb nachgingen.

Doch es blieb nicht beim Aufbau dieses Netzwerkes und beim regelmäßigen Training der Beteiligten, die von der NATO ausgerüstet und gesteuert wurden. Gezielt wurden Attentate gegen die eigene Bevölkerung ausgeführt, um Unsicherheit zu erzeugen und den Ruf nach einer starken Hand zu provozieren. Die ursprünglichen Planungen und politisch motivierten Verbrechen sind bis heute in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Genannt seien hier terroristische Attentate in Belgien zu Beginn der achtziger Jahre, als wahllos aus geheimen Strukturen der belgischen stay-behind-Kräfte heraus Menschen in Supermärkten erschossen wurden und Bomben explodierten, deren Spuren dann linken Gruppierungen untergeschoben wurden. In verschiedenen europäischen Staaten wurden Putsche vorbereitet und durchgeführt, mit Erfolg in Griechenland und der Türkei, gescheitert in Frankreich und in letzter Minute durch ein Veto des amerikanischen Präsidenten in Italien verhindert. Für den Putschfall wurden Internierungs- und Todeslisten vorbereitet, auf denen neben Kommunisten und Gewerkschaftern auch sozialistische Politiker, wie Francois Mitterand, standen.

Für den Autor Daniele Ganser erscheint die Souveränität der westeuropäischen Staaten im Nachhinein ähnlich eingeschränkt, wie die der osteuropäischen Staaten, deren politisches Handeln durch die Breshnew-Doktrin der »eingeschränkten Souveränität« begrenzt wurde. Die Regierungen der USA und Großbritanniens befürchteten, dass vor allem in Italien, Belgien, Finnland und Griechenland Kommunisten in einflussreiche Positionen kommen könnten.

In zahlreichen stay-behind-Operationen wurden zusammen mit den Geheimdiensten linksgerichtete Politiker beobachtet und Akten angelegt. Überhaupt sprengt die Sammelwut der Geheimdienste im Kalten Krieg auch im Westen jedes Vorstellungsvermögen. Allein in Griechenland wurden über 16,5 Millionen einzelne Akten über Griechen, die als Bedrohung für den Staat angesehen wurden, durch die Geheimdienste angelegt.

Interessant ist auch, dass der Autor Verbindungen zwischen rechtsterroristischen Anschlägen in der BRD zu Beginn der 80er-Jahre und den geheimen NATO-Strukturen aufzeigt. So verweist er auf den Anschlag auf das Münchner Oktoberfest im Jahre 1980, bei dem 13 Menschen starben, darunter ein Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann vermutlich einer der Täter. 213 Menschen wurden verletzt.

Hinweisen zu den verwendeten Waffen und auf Verbindungen zu dem Rechtsextremisten Heinz Lembke wurde damals nicht nachgegangen. Der 1981 verhaftete Lembke hatte Zugang zu geheimen Waffen-Depots in der Lüneburger Heide. Er verstarb in der Haft nachdem er erklärt hatte, zu den Hintergründen der geheimen NATO-Waffen in Deutschland auszusagen. An zufällige Verbindungen zur rechtsradikalen Szene mag da kaum noch jemand glauben.

Eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste habe es faktisch nicht gegeben und wenn doch, dann habe sie nicht funktioniert, so Daniele Ganser. Zahlreiche NATO-Mitglieder und andere Staaten stellten die Arbeit der beschriebenen geheimen Strukturen ab 1990 ein, Untersuchungsausschüsse dümpelten dahin, aber an eine Aufarbeitung war nicht zu denken. Mit dem Beginn des ersten -Irakkrieges konnte die NATO keine »negative« Presse gebrauchen. Der Autor lege erstmals umfassend die dunkle Seite des Westens offen eine geheime Parallelwelt, deren Bewohner überall kommunistische Umtriebe witterten, kommentierte der Spiegel. Zu deren Abwehr sei ihnen nahezu jedes Mittel recht gewesen.