Verändert, doch erkennbar

geschrieben von Regina Girod

5. September 2013

Ein Blick zurück auf die letzten 20 Jahre

April-Mai 2012

Wohl zu keiner Zeit ihrer Geschichte hat sich die VVN-BdA so sehr verändert, wie in den letzten zwanzig Jahren. Dass es unsere Organisation noch gibt, sie bis heute mit lebendigen Aktionen bundesweit in Erscheinung tritt, dass sie an ¬großen Bündnissen beteiligt ist und ihren Standpunkt zur Geschichte offensiv vertritt, ist das gemeinsame Werk vieler Antifaschistinnen und Antifaschisten, Jungen und Alten aus Ost und West. Sie alle haben die VVN-BdA nach den Umbrüchen 1989/90 nicht nur gerettet, sondern in gewisser Weise neu erfunden und dabei nicht nur den Verband, sondern auch sich selbst verändert. 1990 wurden nach einem denkwürdigen Treffen am Bogensee bei Berlin zwei antifaschistische Organisationen im Osten neu gegründet: Der »Interessenverband der Verfolgten des Naziregimes« (IVVdN) , der das Erbe der »Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer« aufnahm und der »Bund der Antifaschisten« (BdA). Damals war ich noch nicht dabei. Im Jahr darauf traf ich Hans Jacobus, der mich fragte, ob ich helfen könnte, den Dachverband des BdA nach Vereinsrecht neu zu gründen. Ich kannte Hans aus dem Schriftstellerverband. Menschen, die im Widerstand gewesen waren, haben mich seit meiner Jugend stark geprägt. Mit denen wäre ich schon früher gern in einer Organisation gewesen. Das war nun möglich, also sagte ich zu. Wir wollten den Antifaschismus der DDR verteidigen und weiter tragen, doch auch Manches anders machen. Die ganze Breite von Widerstand und Verfolgung sollte unser Erbe sein, einen pluralistischen Verband wollten wir gestalten. »Antifaschismus ist eine Menschenrechtsbewegung!« hieß unsere erste Losung. Der Sprecherkreis traf sich oft in meiner Wohnung und ich weiß noch gut, wie ungewohnt es für uns alle war, mit Dr. Christa Leweck zu diskutieren, deren Vater aus der Bekennenden Kirche kam. Sie war anders als wir alle, ganz und gar nicht kommunistisch. Doch wir begriffen bald, dass wir gegen ihre Meinung nichts beschließen durften. Sie war unser Korrektiv und wir lernten in der Diskussion mit ihr und miteinander etwas bis dahin kaum Geübtes: Toleranz. Die ersten Jahre nach der deutschen Einheit brachten einen Aufschwung an Rassismus und faschistischer Gewalt. Vielerorts die einzigen Verbündeten, die dagegen auf die Straße gingen, waren autonome Antifas. In den Bündnissen mit ihnen prallten unsere Unterschiede erst einmal aufeinander. Endlose Diskussionen über Verlässlichkeit, gegenseitige Instrumentalisierung, produktive und kontraproduktive Akte und natürlich über die Rolle von Gewalt, haben am Ende doch etwas gebracht: Die Beteiligten kannten sich bald besser, ihre Stärken, ihre Schwächen, und sie lernten, wie man Kompromisse schließt, aber auch, dass ein Bündnis auseinanderbrechen und man trotzdem weiter miteinander reden kann. Bündnisfähigkeit und Bündnisbreite, die wir heute in alle Richtungen praktizieren, haben ihre Wurzeln in jener Zeit. Viele Mitglieder der VVN sind diesen Weg gegangen, Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu stellen, Widersprüche auszuhalten und doch den eigenen Prinzipien treu zu bleiben. Oft eine Wanderung auf schmalem Grat. Menschlich und politisch aber eine Quelle unentbehrlicher Erfahrung. Den wohl wichtigsten Beschluss für die weitere Entwicklung der VVN-BdA haben wir im Jahr 2002 gefasst: Die Vereinigung der VVN-BdA West und der IVVDN (in der der BdA zuvor aufgegangen war), zu einem gesamtdeutschen, generationsübergreifenden antifaschistischen Verband. Es war gut, dass wir uns Zeit gelassen haben und zwei Jahre lang alle Fragen und Probleme diskutierten, bevor wir uns vereinigt haben. Wer dabei war weiß, dass die Debatten nicht nur fruchtbar und erfreulich waren. Um so stärker war am Ende die Bereitschaft zu wirklicher Gemeinsamkeit. So haben wir das selbst gesteckte Ziel erreicht, einen Organisation zu gründen, die politisch stärker ist, als ihre Vorgänger in Ost und West. Unsere Unterschiede waren dabei unser Kapital – wir haben sie produktiv gemacht. Mir persönlich brachte die Vereinigung der VVN in Ost und West ein neues, anspruchsvolles Ehrenamt, das jetzt das achte Jahr mein Leben prägt: Die Arbeit an der Zeitschrift antifa. Für uns, die wir die Zeitung machen, eine Quelle ständiger Inspiration. Die VVN hat in den letzten 65 Jahren viele Zeitungen herausgebracht. Wir stehen also in einer langen Tradition und sind doch ständig aufgefordert, Neues zu entwickeln. Doch bei allem Wandel ist eines ganz gewiss: Wir bleiben Antifaschistinnen und Antifaschisten. Denn schon Aristoteles wusste: »Wir sind , was wir immer wieder tun.«