Zwei Seiten einer Sache

geschrieben von Sevim Dagdelen

5. September 2013

»Antifaschismus und Antikapitalismus gehören
zusammen«

Mai-Juni 2008

Sevim Dagdelen ist Mitglied der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Der Artikel entstand auf Bitten der Redaktion und vertieft ihren Beitrag auf der Landeskonferenz der VVN-BdA Nordrhein-Westfalen (antifa März/April Länderseite NRW)

Das Lebenselixier kapitalistischer Herrschaftssysteme und Katalysator ihrer Entwicklung ist die Profitmaximierung, das Konkurrenz- und Leistungsdenken im Rahmen einer Verwertungslogik, in der selbst das eigene Sein zur Ware wird. Kapitalismus braucht die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Die dem kapitalistischen System immanente Konkurrenzlogik trifft sich in diesem Punkt mit dem Verständnis der Nazis von einem ständigen Kampf ums Dasein, von der Einteilung in Höher- und Minderwertige, vom Überleben des Stärkeren. Sozialdarwinismus und Rassismus sind ideologische Übersetzer der Verwertungslogik.

Dabei liegt es beispielsweise in der Logik der »Standort-Debatte«, auch den Diskurs über »nützliche« und »unnütze« Ausländer zu führen. Der weit verbreitete Rassismus wird von Politikerinnen und Politikern aufgegriffen, die mit der Kriminalisierung von Ausländern und ihrer Diskriminierung durch Sondergesetze, Lagerunterbringung und Abschiebung z. T. in Folter und Tod Repräsentantinnen und Repräsentanten des staatlichen Rassismus sind. Erst, wenn die Nazis sich als Bedrohung für die »nützlichen« Ausländerinnen oder als Hindernis kapitalistischer Modernisierung erweisen, bekommen sie dies zu spüren.

Der mangelnde Widerstand dagegen ist wiederum Spiegelbild des gesellschaftlich transportierten und akzeptierten Rassismus. Polizeiliche und ordnungspolitische Maßnahmen zur Durchsetzung der sogenannten »öffentlichen Ordnung und Sicherheit« und zur Aufrechterhaltung eines »ordentlichen« und »sauberen« Images sind insgesamt Teil einer staatlich sanktionierten Ausgrenzungsstrategie. Verdrängungsprozesse im Zuge der Privatisierung öffentlicher Räume, führen faktisch zu »No-Go-Areas« für Obdachlose und Drogenabhängige. Sichtbar Arme, Obdachlose und bettelnde Menschen stören das Bild. Nicht die Ursachen, sondern die Folgen werden bekämpft. Dass sich Nazis unter einem Klima des Primats der Verwertbarkeit häufig als verlängerter Arm und Vollstrecker eines staatlichen Konzeptes der Verdrängung sehen, bzw. als solcher wahrgenommen werden, überrascht deshalb kaum.

Antifaschismus kommt an einer Auseinandersetzung mit kapitalistischen Herrschaftsstrukturen nicht vorbei, will er sich nicht allein an den Symptomen des gegenwärtigen gesellschaftlichen Rechtstrends abarbeiten. Antifaschistischer Kampf ist allerdings nicht automatisch der »Kampf ums Ganze«.

Der »bürgerliche Antifaschismus«, der die Demokratie (und damit meist den Status quo) verteidigen will, bzw. einen »sozialen« und »humanen« Kapitalismus anstrebt, bietet selbstredend Ansatzpunkte zum gemeinsamen Kampf gegen nazistische Bestrebungen. Doch Sozialstaat beinhaltet eben nur die nationalstaatliche Milderung der Auswirkungen des Zwangsverhältnisses der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, nicht seine Aufhebung. Antifaschismus, der den Schwur von Buchenwald einlösen, d. h. den Nazismus mit seinen Wurzeln beseitigen und eine neue Welt des Friedens und der Freiheit aufbauen will, muss daher in seiner weiterführenden Perspektive den Kapitalismus angreifen. Er muss antikapitalistisch sein, will er Grundwerte wie Emanzipation, ein Leben ohne Ausbeutung, freie Entfaltung aller und gleiche Rechte für alle verwirklichen. Und das bedeutet zumindest für mich Frieden und soziale Gerechtigkeit für alle.