Als Zeuge in dieser Sache

geschrieben von Peter Kirchner

5. September 2013

Rudolf Hirsch zum Hundertsten

Nov.-Dez. 2007

Am 17. November würde der Schriftsteller Rudolf Hirsch seinen hundertsten Geburtstag begehen. Geboren in einer wohlbehüteten, relativ gut situierten jüdischen Kaufmannsfamilie in Krefeld, erlebte er ursprünglich das Milieu einer deutsch-patriotischen, ja kaisertreuen Umgebung. Nach den Ereignissen des November 1918 trafen auch den Gymnasiasten Hirsch offen antisemitische Tendenzen. Um das väterliche Schuhgeschäft »in bester Lage« in seiner Heimatstadt zu übernehmen, begann Hirsch eine Lehre in einer Schuhfabrik. Nach dem frühen Tode des Vaters übernahm der gerade 21 Jahre alte Rudolf 1928 das elterliche Geschäft. Nur wenige Jahre später trat er – wie so viele junge jüdische Intellektuelle aus so genanntem »gut-bürgerlichem Haus« – der KPD bei. Wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nazis musste Hirsch aus Deutschland fliehen, um einer Verhaftung zu entgehen. Seine Stationen waren Holland, Belgien und Frankreich. Das Geschäft wurde in dieser Zeit »arisiert«. Er kehrte nochmals nach Deutschland zurück, wirkte in der illegalen Arbeit einer kommunistischen Widerstandsgruppe in Berlin, um dann 1937 endgültig zu emigrieren, diesmal nach Palästina. Hier blieb ihm nur die Arbeit eines Schuhfräsers, aber seine politische Tätigkeit setzte er fort.

Arnold Zweig, mit dem ihn eine dann lebenslange intensive Freundschaft verband, und die ebenfalls nach Palästina emigrierte Lea Grundig, beeinflussten ihn und ermunterten ihn auch, seinen schriftstellerischen Neigungen nachzugehen. 1939 hatte er seine erste Frau Ruth geheiratet. Beide kehrten mit Hilfe von Zweig und Grundig 1949 nach Deutschland zurück. Die gerade gegründete DDR wurde ihre neue Heimat, bewusst gewählt, um am Aufbau eines antifaschistischen deutschen Staates mitzuwirken. Er fand bei der »Täglichen Rundschau« eine Anstellung als Gerichtsreporter, und als 1953 die »Wochenpost« begründet wurde, schrieb er für dieses Blatt seine Kolumne »Als Zeuge in dieser Sache« und erreichte mit ihr ein unerwartetes republikweites Interesse. Seine Gerichtsberichte befassten sich mit dem Schicksal von Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, versuchten aber gleichzeitig, Probleme im gesellschaftlichen Zusammenleben zu erfassen und Partei zu ergreifen – oft für die Beschuldigten, gleichsam als Sachwalter der Angeklagten. Seine Beiträge auf der letzten – oft als erste gelesenen – Seite der »Wochenpost«, die er fast drei Jahrzehnte bis 1981 regelmäßig gestaltete, machten ihn berühmt.

Daneben schrieb er Gerichtsreportagen über Prozesse gegen ehemalige Täter der Nazidiktatur, so die Auschwitzprozesse in Frankfurt am Main 1963 bis 1965 und 1966, den Prozess um die Mordaktion T4 1967 und später den Lischka-Prozess in Köln 1979 sowie den Majdanek-Prozess, zusammengefasst in dem Band »Um die Endlösung« (1982). Mit diesen Berichten vermittelte er einem breiten Kreis von Interessierten ein wichtiges Thema der jüngsten deutschen Geschichte, zeigte die Untaten der Angeklagten auf, aber auch die unvollständige Bereitschaft der bundesdeutschen Justiz, eine wirkliche Aufarbeitung und Verurteilung zuzulassen..

Gemeinsam mit seiner zweiten Frau, der Schriftstellerin Rosemarie Schuder, begann er ab 1981 zusammenzutragen, was dann als »Der gelbe Fleck – Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte« (1987) erschien. Hier wurde, in essayistischer Form, die Kontinuität der Verfolgung der Juden über die Jahrhunderte hinweg bis zum Holocaust dargestellt. Schuder und Hirsch verfassten auch die Biografie ihres Freundes Kurt Julius Goldstein, »Nr. 58866 Judenkönig« (1996).

Endlich begann er, in seinem 89. Lebensjahr, einem ständigen Drängen der Freunde entsprechend, seine Autobiografie zu schreiben. Er nannte sie »Aus einer verlorenen Welt«. Unvollendet erschien sie nach seinem Tode (2002).

Am 7. Juni 1998 starb Rudolf Hirsch im 91. Lebensjahr. In unserer Erinnerung bleibt er als aufrichtiger und liebenswerter Chronist seiner Zeit, mit einem festen politischen Standpunkt, den er stets mit Nachdruck vertrat.