Antisemitismus in der DDR?

geschrieben von Axel Holz

5. September 2013

Gedanken zu einer Ausstellung der Antonio Amadeu Stiftung

Mai-Juni 2009

Wenn wir heute über Antisemitismus reden, dann müssen wir feststellen, dass er ein wachsendes Problem in Deutschland darstellt. Trotz stagnierender rechtsextremer Einstellungen ist der Anteil der Bevölkerung mit antisemitischen Vorurteilen weiter auf neun Prozent angestiegen, wobei der ostdeutsche Wert mit 7,9 Prozent leicht unter dem westdeutschen von 9,3 Prozent liegt. Das belegt die neueste Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung über »Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2008«.

Geht man bei der Betrachtung der Ost-West-Unterschiede in Bezug auf antisemitische Vorurteile weiter zurück, so finden sie sich zu vier Prozent bei DDR-Bürgern und zu 16 Prozent bei Westdeutschen, so Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der TU Berlin. Es stellt sich die Frage, wie in der ostdeutschen Gesellschaft eine so hochgradige Marginalisierung antisemitischer Stereotype und Vorurteile erreicht wurde. Welchen Anteil daran hatten Film, Literatur, Schule, Universität und Massenmedien, fragte Faschismus-Experte Kurt Pätzold schon 2007 im »Freitag« und verwies auf das Buch »Völkermord statt Holocaust« von Mathias Krauß. Krauß zeigt darin, wie in unzähligen Artikeln, Erzählungen, Romanen, Gedichten und weiteren Texten die Themen Holocaust und Antisemitismus jedem Schüler der DDR während seiner Schullaufbahn vielfach begegneten. Pätzold fragte auch danach, warum dennoch ein Bodensatz von vier Prozent an antisemitischen Einstellungen in der DDR blieb.

Tatsächlich gab es das in der DDR: antisemitische Vorurteile, Hakenkreuzschmierereien, umgeworfene jüdische Grabsteine und in den achtziger Jahren regionale neofaschistische Strukturen. Solche Taten wurden durch Polizei, Geheimdienst und Gerichte umgehend und konsequent verfolgt. Aber eine systematische Auseinandersetzung mit dem 1000-jährigen Antisemitismus, der 1945 nicht aus den Köpfen der Menschen verschwunden sein konnte, gab es leider nicht. Ich selbst habe erst im Buch »Der gelbe Fleck« von Rudolf Hirsch und Rosemarie Schuder Ende der achtziger Jahre über das Ausmaß des Antisemitismus in Deutschland vor der Nazi-Zeit erfahren.

Mit all dem beschäftigt sich die Wander-Ausstellung der Antonio-Amadeo-Stiftung »Das hat es bei uns nicht gegeben« über Antisemitismus in der DDR nicht. Sie wurde Anfang März 2009 im Gebäude der Birthler-Behörde in Görslow bei Schwerin gezeigt. Weil sie Antisemitismus nicht als gesamtdeutsches Thema behandelt, nicht die besondere Affinität der Westdeutschen zu antisemitischen Einstellungen einräumt, setzen sich die Ausstellungsmacher zumindest dem Verdacht aus, mit ihrer einseitig ostdeutschen Orientierung zu der seit Jahren praktizierten Delegitimierungsstrategie gegenüber der DDR-Geschichte beizutragen. Angesichts der Wichtigkeit des Themas heute haben sie damit eine wirkliche Chance vergeben.

Auf meine Nachfrage hin bestätigten sie, dass Aufklärung zu diesen Fragen auch für Westdeutschland notwendig sei. Warum die Ausstellung allerdings diesen Bedarf nicht befriedigt, ließ die regionale Koordinatorin der Antonio-Amedeo-Stiftung, Heike Radwan, unbeantwortet. In einem Interview mit der Schweriner Volkszeitung hatte Frau Radwan zuvor erklärt, die ökonomistische Dimitroff-Definition des Faschismus sei Unsinn und eigentlich sei der Antisemitismus für die Machtergreifung der Nazis verantwortlich. Diese Position bekräftigte sie in der Diskussion zur Ausstellungseröffnung noch einmal. Die tatsächlichen Ursachen für den Machtantritt der Nazis, darunter die Schwäche der Demokratie, die Stärke des Konservatismus, die mangelnde Auseinandersetzung aller politischen Parteien mit dem latenten Antisemitismus, die Spaltung und Ideologisierung der Arbeiterbewegung und vor allem die ökonomischen Interessen der Herrschenden, blieben bei ihr völlig außen vor. Dabei ist belegt, dass die Absprachen zur Machtübergabe an Hitler von Politikern und Industriellen bereits im Januar 1933 in der »Schröder-Villa« erfolgten. Die Unterschriften unter dem Bittbrief an Reichskanzler Hindenburg vom Herbst 1932 mit der Forderung, Hitler die Macht zu übergeben, lesen sich wie ein who is who der deutschen Industrie und Bankenwirtschaft. All das haben die Schüler auf den Polytechnischen Oberschulen der DDR oder in Filmen wie »Krupp und Krause« oder »Der Rat der Götter« erfahren. Für Frau Radwan existieren diese Fakten dagegen nicht. Allein der verdrängte Antisemitismus sei Schuld an der Machtergreifung der Nazis. Schade, dass so manche Einseitigkeit der Geschichtsbetrachtung in der DDR heute durch neue Einseitigkeiten ersetzt wird, diese sich aber zugleich mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit schmücken. Infam wird die Ausstellung allerdings dann, wenn die klare Warnung des John-Hartfield-Plakates »Millionen stehen hinter mir« vor den Nazis als ökonomistisch unsinnig und unterschwellig sogar als antisemitisch diffamiert wird.

Antisemitismus in der DDR

geschrieben von Dr. Irene Runge, Jüdischer Kulturverein

5. September 2013

Ein Leserbrief, den die BZ nicht brachte

Mai-Juni 2007

In Berlin wird seit kurzem die Ausstellung »Das hat es bei uns nicht gegeben. Antisemitismus in der DDR« gezeigt. Schon bei der Eröffnung wurde deutlich, dass sie vor allem den Antifaschismus der DDR delegitimieren soll. Die Boulevardpresse berichtete genüsslich. Gegenreaktionen wurden der Öffentlichkeit vorenthalten.

Z.B. diese: »Sehr geehrter Herr Schnuppelius, mit Interesse lese ich Ihre BZ-Kolumnen. Sie wirken so meinungsstark (›opinionated‹), obwohl Sie selbst etwa im RBB-TV auf mich einen eher unsicheren, fast schwächelnden Eindruck machen. Heute habe ich Ihren Text zum DDR-Antisemitismus nicht ganz verstanden. War Globke DDR-Bürger? Waren Albert Norden und Jürgen Kuczynski ›Arier‹ bzw. ›Christen‹ bzw. ›Deutsche‹? Welche Religion hatte Klaus Gysi? Waren, bzw. sind Oberländer, Oettinger, Filbinger & Co. DDR-Bürger? War Antisemitismus in der DDR eigentlich Staatsdoktrin? Warum fand der Auschwitz-Prozess in Frankfurt/Main erst 20 Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik statt? Wer hat die Synagoge in Berlin-Schöneberg (West) abreißen lassen? Die SED? Um Erklärung bittet mit freundlichen Empfehlungen

Dr. Volker Gransow.

Dem kann ich nur zustimmen!