Brauner Alltag auf dem Land

geschrieben von Max Ragwitz

5. September 2013

Im Osten von Mecklenburg-Vorpommern bestimmen Nazis vielerorts den
Alltag

März-April 2011

Stadt – Land – Rechts

Brauner Alltag in der deutschen Provinz. Reihe: Texte der RLS Bd. 63 von Friedrich Burschel (Hrsg.)

In einer Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Bd. 63) beschäftigt sich Friedrich Burschel mit der Frage, ob man von einer qualitativ neuen Entwicklung des Neonazismus sprechen muss. Er stellt dabei die These auf, dass sich »im ländlichen Bereich die Metamorphose von randständigen Gruppen ohne politische und kulturelle Wirkung hin zu Etablierung und Integrierung im Alltagsleben« vollzog. Und er, Burschel, hat völlig Recht, wenn er meint, dass das vor allem einer geschickten Unterwanderungsstrategie geschuldet ist. Der »moderne Nazi« von heute ist der freundliche Mann, die Frau von nebenan, die sich im Ort engagieren, Ehrenämter übernehmen und immer dann präsent sind, wenn Präsenz gefragt ist. Eine stattliche Anzahl dieser Bürger sitzt bereits in Gemeinde- und Stadtvertretungen oder Kreistagen. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Der Autor meint, dass »die organisierte extreme Rechte personell gar nicht in der Lage sei, flächendeckend für braune Unkultur auf kommunaler Ebene zu sorgen«. Das täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass besonders auf dem Lande, unterstützt durch oft hohe Arbeitslosigkeit und (vermeintliche) Perspektivlosigkeit, brauner Alltag herrscht. Kameradschaften braucht man deswegen gar nicht zu bilden. Es geht viel subtiler, wenn man überall präsent ist und dem Bürger sozusagen durch die Blume sagt, wo der Schuh drückt und sie mit populistischen Parolen auf einen »rechten« Weg führen will. »Arbeit für Deutsche« und »Ausländer raus« sind da eher die gemäßigten Thesen, die das Herz des »kleinen Mannes« berühren und den Weg zum starken Staat mit starkem Mann bereiten sollen. Zur Strategie gehört dabei vordergründig, auf die Unfähigkeit des Staates hinzuweisen, das deutsche Volk zu seinen Werten zu führen. Was immer auch man darunter verstehen mag. An Stammtischen und auf Volksfesten parliert es sich, gepaart mit ein paar Promille, darüber gar trefflich. Kein Wunder also, dass man zu solchen Gelegenheiten nicht selten hört: Wir wollen keine Nazis, aber ein kleiner Adolf könnte dem Land schon nicht schaden. Das Gebot der Stunde heißt also einmal: Wehret den Anfängen. Und vor allem: Aufklärung. Dies in Flächenländern wie Mecklenburg-Vorpommern, in den neuen Bundesländern überhaupt, durchzusetzen, bedarf wohl konzertierter Aktionen aller demokratischen Kräfte. Große Bedeutung kommt gerade dort neben Einzelaktionen gegen Rechts vor allem auch dem Medium Internet zu. Portale wie »Links lang« (www.links-lang.de) rufen nicht nur zu Aktionen gegen neonazistisches Gedankengut auf, sie zeigen auch Hintergründe auf und warnen vor den vielfältigen Spielarten brauner Ideologie. Die wird von den selbsternannten Ideologen wie Udo Pastörs und Stefan Köster aus der schon nicht mehr heimlichen Parteizentrale im Landkreis Ludwigslust gesteuert. Im Osten des Landes, wo die NPD mancherorts Rekordwahlergebnisse erreicht, bedienen sie sich vor allem sogenannter »Freier Nationalisten« als willfährige Wahlhelfer. Mehr noch, mit deren Hilfe hat man ein Modell einer Art »Organisationen ohne Organisation« entwickelt, die es Behörden schwer machen, Ansatzpunkte gegen ihr Wirken zu finden, oder sie gar verbieten zu können. Sensibilisiert für das Thema ist inzwischen in hohem Maße auch die Tourismuswirtschaft des Landes M-V. Denn es ist wahrlich kein gutes Aushängeschild für das Tourismusland mit dem Anspruch auf die Nr. 1 in Deutschland, wenn potenzielle Urlauber wegen rechter Gewalt und Wahlerfolge ihre Urlaubsziele ändern. Gerade im Superwahljahr 2011 will man im Nordosten mit allen Mitteln versuchen, den Wiedereinzug der NPD in den Landtag zu verhindern, die dort immerhin mit sechs Mandaten residiert. Entwickelt wurde deshalb mit Hilfe der Amadeu Antonio Stiftung eine Kampagne »Kein Ort für Nazis«, die sich an demokratisch eingestellte Jugendliche und Erwachsene richtet, die vor Ort etwas bewegen wollen. Die Stiftung stellt für Projekte gegen Rechts Fördermittel und fachliche Unterstützung durch Kooperationspartner vor Ort bereit und geizt natürlich auch nicht mit öffentlicher Anerkennung. Bleibt abzuwarten, wie es gelingt der rechten Dominanz vor allem im äußersten Osten des Landes entgegenzuwirken und so dem braunen Alltag zu begegnen. Potenzial dafür gibt es genügend. Das aber muss auch die Herzen und Hirne der Wähler erreichen.