Christen, Heiden und Faschisten

geschrieben von Tanja Girod

5. September 2013

Grenzwege zwischen Spiritualität und Politik

Mai-Juni 2011

In Gera traf sich letzte Woche eine ungewöhnliche Allianz gegen Neofaschisten: Ein engagierter Jungpfarrer hatte als Teil eines Bürgerbündnisses gegen Rechts eine Gruppe namens »Heidentum ist kein Faschismus« eingeladen.

Hut ab vor engagierten Christen dieser Art! Man kann nur hoffen, dass ihr hohes Maß an Toleranz im Umgang mit ihren Gesprächspartnern später viele Früchte trägt.

Auf der Oberfläche ging es bei dieser Begegnung um eine gegenseitige Annäherung, um gemeinsame Aktionen besser zu koordinieren und sich besser kennen zu lernen.

Das Treffen fand in den Räumen der Jungen Gemeinde statt, dekoriert mit Menora, Koran und gutmenschlichen Nippes, man trank gemeinsam Saft und Wasser. Die Christen, die in dieser Runde überwogen und mit fast unchristlicher Neugier der Selbstdarstellung der Heiden folgten, saßen auf dem üblichen Jugendclubsofa, hielten an ihrem Glauben fest und die Werte der Aufklärung hoch.

Bei eben dieser Selbstdarstellung begannen schon die Unklarheiten. Es gibt unter anderem: Wiccas, also Hexen, Neokelten, Hellenisten, Neoslawen, Asatruar und Naturspirituelle, die in Ihrer Spriritualität, in Ihrer Ikonographie und in ihren Werten völlig verschieden sind. Außerdem sind viele dieser Gläubigen aber auch noch auf der spirituellen Suche und haben für sich nicht endgültig entschieden, woran sie genau glauben.

Die Heiden beklagten, dass heidnische und keltische Symbole von Nazis missbraucht, aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen und für die völkisch-rassistische Ideologie benutzt würden. Sie selbst als moderne Heiden, die sich jenseits ihrer Religiösität zu Freiheit, Gleichheit, Menschenrechten, Sozialstaat und Demokratie bekennen, hätten daher beschlossen, sich zu organisieren. Sie fühlten sich in der Ausübung ihrer Religiosität derart durch politische, in diesem Fall rechtsradikale Aktionen, behindert, dass sie sogar bereit sind, sich mit ausgewiesenen Christen zu einem politischen Zweckbündnis zusammenzuschließen.

Denn normalerweise und vor allem in der Vergangenheit war das Verhältnis zwischen Christen und Heiden deutlich gestört. Sie kannten keinen gemeinsamen Feind, man war sich selbst Feindes genug. Arme Heidenkindlein, die nicht das Privileg der Taufe empfangen durften, werden heute nur noch von Älteren mit Abwertung gestraft. In der Vergangenheit waren es eher offene Anfeindungen wegen häretischer Ansichten, die unser Bild dieser Beziehung prägen. Der christliche Drang zur Mission und die starke Neigung zu Dogmatismus (Nachsicht wird nur mit den eigenen Schäfchen geübt. etc.), erschwerte die Lage zusätzlich. Trotzdem wäre es zu einfach, hier die Hexenverfolgung des Mittelalters, die meiner Meinung nach ein gesamtgesellschaftliches und kein genuin christliches Problem war, als Höhepunkt des heidnisch-christlichen Konfliktes zu zitieren.

Aus Sicht der Heiden dagegen, sind Christen verlogene Dogmatiker, die Anspruch auf ein fragwürdiges Konstrukt erheben, das sie christliches Abendland nennen.

In den langen Auseinandersetzungen innerhalb der christlichen Kirchen konnte im Verlauf der letzten zwei Jahrtausende ungefähr geklärt werden, was häretisch und noch schlimmer: was heidnisch ist.

Dieser unausgesprochene, geradezu antagonistische Wiederspruch hing bei der denkwürdigen Begegnung in Gera zwar im Raum. Doch kein Exorzist war bestellt und an die Frage, wem denn nun die Seelen der Anwesenden gehören, wurde nicht gerührt. Denn dieses Mal ging es um Politik.