Der Geist ist frei!

geschrieben von Anke Vetter & Ingmar Wengel

5. September 2013

Bayerischer Reggae- gefeiert in Berlin

Mai-Juni 2007

Hans Söllner (* 24. Dezember 1955 in Bad Reichenhall); bayerischer Liedermacher. Soloprojekte: u.a. „Hey Staat“ und „Der Charlie“; spielt „bayerischen Reggae“ mit Bayaman’Sissdem – in der Besetzung Manfred Puchner, Gitarre; Denis Rieger, Bass; Peter Pichler, Akkordeon; Stefan Hofer, Schlagzeug und Stefan Zepf, Keyboard und Orgel. Alle Projekte erschienen bei Trikont Musik Verlag. Weitere Infos: www.soellner-hans.de

Hans Söllner und die Reggaeband Bayaman’Sissdem gaben sich am 21. März 2007 im Kesselhaus der „Kulturbrauerei“ in Berlin die Ehre. Ihre exklusive Mischung aus rasanter bayrischer Mundart und Hausmusik, unterstützt von Reggaesound mit Akkordeonklängen begeisterte die rund 500 Zuhörer -trotz mancher Verständnisprobleme für preußische Ohren.

Söllners Lieder spiegeln die manchmal erschreckende Alltäglichkeit des Lebens. Ein kleiner Junge hängt sich auf, er hat einen Sechser in Deutsch; eine Frau ermordet aus Angst vor der Zukunft ihre Familie; auf der ganzen Welt ist Krieg. Söllner ist ein erklärter Feind aller Verantwortlichen für diese Alltäglichkeiten, welche aus Gier, Hass und Verblendung entstehen. In einer Zeit, in der Völkerrecht gebeugt wird, aber Menschen wie er für ihre Kritik wegen Beleidigung angeklagt werden, singt er – nicht zu Unrecht – in dem Lied „Hey Staat“:

„Dreißig Jahr lang hab ich mich an alles gehalten und dreißig Jahr hab ich gemacht, was du mir sagst. Dreißig Jahr lang hast saugut von mir gelebt und nicht ein einziges mal hast Danke zu mir gesagt. Und jetzt, wo ich aufsteh und mich wehr, weil ich halt find, dass es endlich einmal langt, nennst Du mich Penner und Verbrecher, am liebsten stellst mich an die Wand. Oh man, hey Staat. … Du bist kein Vorbild mehr für mich, hey Staat. Du hast dich ausgefressen vom Geld, das ein anderer schwer verdient. Und sogar am Hunger von der Welt, hast du deinen Spaß und deinen Profit mit dem du deinen Völkermord betreibst. Na man, für das, was du da machst, hat dich von uns bestimmt niemand gewählt.“

Alltägliches lässt nachdenken: „Es ist ein Wahnsinn geworden. Wer sich sexuell an Kindern vergeht, wird nicht so verfolgt wie jemand, der drei Gramm Marihuana in der Hosentasche vergessen und schon drei Mal mit gewaschen hat.“ Oder klare Positionierungen: „Ich bin für die Legalisierung von Hanf auf der ganzen Welt, für alle Völker, für alle Nationen und Religionen. Ich bin nicht für die Legalisierung von Drogen. Ich bin für die Legalisierung von Freiheit und Gleichberechtigung, für mich gehört das dazu. Artgerechte Haltung ist angesagt für uns“.

Er meint das Recht jedes Menschen auf das Grundsätzliche: Selbstbestimmung, Frieden, Freiheit, Atmen und Leben. Dass Hans Söllner für Texte, in denen er Verantwortliche namentlich benennt, die in Deutschland höchste Geldstrafe für Beleidigung schulterte, zeigt seine Bereitschaft zur Konsequenz.

Er selbst über sich im Interview nach dem Konzert: „Ich sage, was mir nicht passt und kleide das in schöne Lieder. Für Andere sind es keine schönen Lieder. Mancher sagt Widerstand dazu. Ein Protestlied muss nicht unbedingt was mit Widerstand zu tun haben. Ich bin einfach ungehorsam, aber das ist kein Widerstand. Ich muss ja mitmachen, ich kann allein nicht widerstehen. Ich schaue, dass ich artgerecht gehalten werde, das hat nichts mit Widerstand zu tun. Ich protestiere.“

Mit seinem Protest und der Forderung nach Übernahme von Verantwortung spricht er alle an. In Berlin ca. 500 Leute jeden Alters und jeder Couleur. Er rüttelt auf, erinnert an Wesentliches: „Passt auf einander auf, passt auf eure Kinder auf, mischt euch mal wieder ein. Geht morgen auf einen Polizisten zu, gebt ihm einen Kuss und sagt zu ihm: Komm ein Stück mit, mit dir fühle ich mich richtig sicher.“ und mahnt hin zuschauen, wie in „So ist das Leben“:

„Eine dreckige Wohnung in Kempten, ‚Heil Hitler‘ steht im Wohnzimmer überm Schrank an der Wand. Ich kenn einen jeden von ihnen, ich kenn jeden. Sie regieren in unserem Land … Ein sauberer Friedhof in Passau, die Gräber sind alle ganz ordentlich und gepflegt. Sie haben einen Brunnen gebaut zum Blumen gießen, soll ich euch was sagen, das müssten unsere Brüder und Schwestern in Afrika sehen, das müssten die Afrikaner sehen.“

Im Interview antwortet er auf das Stichwort ‚Nazis‘ mit: „Zukunft“. Was macht man dagegen? „Gut leben, glücklich sein, Kinder kriegen, anders erziehen.“ Er weiß, es geht nur zusammen und ruft uns auf im „Sturm“:

„Ein Sturm zieht auf von Westen, die Menschheit marschiert los, endlich ist’s soweit, endlich ist’s soweit, heut rührt sich was. Alle Nationen, ob schwarz, rot oder weiß, der Große hilft dem Kleinen, ja heut sind wir Freund. Ein Sturm zieht auf vom Westen und Staub verdeckt die Sonne, wir sind die neue Macht im Land, hey, wir müssen uns vertragen. Alle Religionen, ob Moslem oder Christ, keiner ist mehr schlechter, hey du weißt was du bist, jeder weiß was er ist.“

Haben wir eine Chance auf artgerechte Haltung? Der Geist ist frei, lasst ihn fliegen!