Der »Lutetiakreis«

geschrieben von Dirk Krüger

5. September 2013

Keimzelle der deutschen Volksfront gegen den Faschismus

Nov.-Dez. 2011

»Das Hotel Lutetia wurde an die israelische Gruppe Alrov verkauft.«

Diese Meldung wurde am 8. August 2011 in der französischen Zeitung »Sudouest« verbreitet.

In Deutschland blieb die Meldung unbemerkt und unkommentiert.

Dabei hätten wir Deutschen allen Grund, uns an das Hotel Lutetia zu erinnern.

In dem Hotel Lutetia (das ist der römische Name für das alte Paris) kam am 26. September 1935 eine Gruppe deutscher politischer Emigranten zusammen, die aus Nazi-Deutschland nach Frankreich in die Emigration geflüchtet waren. Am Tisch saßen 22 Sozialdemokraten, 4 Vertreter der KPD und 25 Vertreter anderer politischer Bewegungen. Es war die seit 1933 größte Versammlung von Hitler-Gegnern verschiedener weltanschaulicher und politischer Richtungen. Diese Gruppe gab sich den Namen »Lutetiakreis« und ist unter diesem Namen in die bewegte und bewegende Geschichte des Exils 1933-1945 eingegangen. Die Diskussionen verliefen äußerst kontrovers und widersprüchlich. Vor allem das Auftreten und die Vorschläge des Sozialdemokraten Max Braun sorgten für Irritationen. Um nicht gänzlich ohne Ergebnis auseinander zu gehen und um die weitere Arbeit des Kreises sicherzustellen, einigte man sich auf die Einrichtung und den Betrieb eines Büros. Ihm gehörten an: Heinrich Mann als Leiter, Georg Bernhard, Max Braun, Emil Julius Gumbel, Otto Klepper, Willi Münzenberg, und Leopold Schwarzschild. Dem Büro wurde die wichtige Aufgabe übertragen, weitere Zusammenkünfte zu organisieren.

In die Diskussion schaltete sich nach den Beschlüssen der Brüsseler Konferenz, mit seiner Orientierung auf die Vereinigung aller Anti-Hitler-Gegner, auch das Politbüro der KPD mit einem Dank und einer weit reichenden »Konzeption…für die folgenden Zusammenkünfte in diesem Kreis« ein.

Die Konzeption der KPD endete mit der Aufforderung: »Wir schlagen also vor, die Beratungen regelmäßig weiterzuführen, aber im Sinne einer fortlaufenden Stellungnahme zu den aktuellsten Fragen, die das deutsche Volk bewegen«.

Am 22. November 1935 fand eine zweite, diesmal bedeutend größere Versammlung des Lutetiakreises statt. An ihr nahmen 11 Sozialdemokraten, 6 Funktionäre der KPD, 2 SAP-Mitglieder sowie mehrere bürgerliche Politiker und antifaschistisch gesinnte Schriftsteller, insgesamt 44 Personen, teil.

Die Hinrichtung des Kommunisten Rudolf Claus, des Mitglieds der illegalen Reichsleitung der Roten Hilfe Deutschlands, durch die Nazijustiz, bewirkte eine Änderung der Haltung der SPD und wurde zum Ausgangspunkt einer ersten gemeinsamen Protesterklärung von SPD und KPD im Exil. Sie trug die Unterschriften von Hans Beimler, Philipp Dengel, Wilhelm Koenen, Willi Münzenberg, Max Braun, Rudolf Breitscheid, Emil Kirschmann, Max Brauer und Victor Schiff.

Heinrich Mann kommentierte das so: »Das ist der erste gemeinsame Schritt deutscher Sozialdemokraten und Kommunisten. Es geschah am 20. Dezember 1935, vermerken wir den Tag, den spätere Geschichtsberichte nennen werden. An ihm vollzog sich tatsächlich die Einheitsfront der Sozialisten, mit ihr aber beginnt die Volksfront der Deutschen.«

Eine weitere Konferenz des Lutetiakreises, fand am 2. Februar 1936, wiederum im Hotel Lutetia statt. 100 Teilnehmer wurden gezählt. Sie berichteten später übereinstimmend, dass die Konferenz durch eine zumeist sachliche Diskussion gekennzeichnet war. Dadurch wurde in verschiedenen Fragen eine Annährung der Standpunkte erreicht.

Ein Aufruf wurde einstimmig verabschiedet in dem die faschistische Kriegspolitik verurteilt und zum Zusammenschluss aller Friedenskräfte aufgerufen wurde. In der Folgezeit verbesserte und erweiterte sich auf der einen Seite die Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in Frankreich. Auch Rudolf Breitscheid entschied sich für die ständige Mitarbeit in diesem Kreis. Die Mitarbeit der Saargruppe der SPD brachte eine weitere Stärkung des Lutetiakreises.

Gleichzeitig wurden aber gegenläufige Tendenzen immer offenkundiger. Die zunehmend heftigen Polemiken drehten sich um Fragen nach den unmittelbaren Zielen und Aufgaben der antifaschistischen Kräfte in der Emigration. Kernpunkt der Auseinandersetzung aber war die Frage nach der politischen und sozialen Gestaltung Deutschlands nach der Überwindung der Hitler-Diktatur. Besonders in dieser Frage offenbarten sich extrem unterschiedliche Vorstellungen

Am 22. April 1936 beschloss der Lutetiakreis auf Drängen von Heinrich Mann ein Exekutivorgan aus 15 Personen zu bilden. Das war ein weiterer Versuch, die Wirksamkeit der Arbeit zu verbessern und in anderen Ländern Mitstreiter zu gewinnen.

Ab dem 9. Juni 1936 nannte sich der Lutetiakreis dann »Ausschuss für die Vorbereitung einer deutschen Volksfront«. Zum Vorsitzenden wurde Heinrich Mann gewählt.

Das alles geschah im Hotel Lutetia. Es bleibt zu hoffen, dass dieser historische Ort erhalten bleibt als Erinnerung und Mahnung für die heutige Zeit, nicht nachzulassen im gemeinsamen Kampf aller demokratischen Kräfte gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Krieg und Neofaschismus.