Die Republik vor Gericht

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwaltes

Mai-Juni 2007

Heinrich Hannover

Die Republik vor Gericht 1954-1995

Aufbau Verlag 2007-

ISBN 978-3-7466-7053-5

Broschur 960 Seiten

16,90 EUR

Der Rechtsanwalt Heinrich Hannover, 1925 in Anklam geboren, hatte – noch zwei Jahre als Soldat – verwundet an Leib und Seele den Zweiten Weltkrieg überlebt. Er war überzeugt, dass die bitteren Erfahrungen mit dem Faschismus und der erschütternden Selbsterkenntnis, wie nationales Elitebewusstsein dazu führen konnte Nachbarländer bedenkenlos zu zerstören und Mitmenschen in fremden Uniformen als Feinde zu töten – ausreichen würden, Kriege endgültig abzulehnen. Aus diesen Erfahrungen würde eine auf Weltfrieden ausgerichtete deutsche Demokratie aufgebaut werden können: Alle müssten nur in jeder Hinsicht das Gegenteil tun von dem, was von 1933 bis 1945 in verblendeter Zustimmung und sogar unter dem Jubel der Bevölkerung geschehen war.

Während des Jurastudiums in Göttingen (1946 bis 1950), drei Referendarjahren in Bremen und dort schließlich als Anwalt, wird ihm immer klarer, dass die Hitlerzeit in einer langen Vorgeschichte wurzelt. Die physische Vernichtung der politischen Linken und die systematische Ausrottung der Juden sind „nicht das Werk einzelner Verbrecher, sondern die Verwirklichung einer Gesinnung gewesen“,… die von breiten Schichten des Bürgertums getragen wurde.“ Die geschichtlich Wahrheit war selten so unbequem wie heute: „Der Nationalsozialismus ist nicht über Nacht gekommen. Er ist auch nicht über Nacht verschwunden. Den braunen Garden hat nicht die Linke sondern eine Rechte den Weg bereitet, die das ´Vaterland´ gegen den Bolschewismus zu verteidigen glaubte und die um dieses ´höheren Zieles´ willen Gewalt und Unrecht legalisierte.“

Als gerade in Bremen niedergelassener Anwalt bekam er 1956 als Pflichtverteidiger einen Mandanten, der im Zusammenhang mit dem KPD-Verbot angeklagt worden war, seine politische Tätigkeit illegal fortzusetzen. Der Düsseldorfer Friedenskomiteeprozess (1959/60) und die vor einem Gericht verhandelte Frage, ob Kriegsdienstverweigerung im Hitlerstaat als politischer Widerstand gewertet werden kann, so wie die totale Kriegsdienstverweigerung der Zeugen Jehovas (1962 bis 1965) bewiesen ihm, dass für die bundesrepublikanische Demokratie aktiver Antifaschismus gegen den Hitlerstaat durchaus ein juristisches Problem darstellte.

In der Zeit von 1961 bis 1965 erlebte Hannover gemeinsam mit seinen Mandanten, wie bereits kommunistische Meinungsäußerung aber auch deutsch-deutsche Kontakte kriminalisiert wurden. 1963 lösten die Verhandlungen im Fall Willi Meyer-Buer, der als kommunistischer Abgeordneter von 1946 bis zum KPD-Verbot der Bremer Bürgerschaft angehört hatte, einen, für seine eigene politische Bewusstseinsbildung bedeutsamen Prozess aus. Sein Mandant hatte als aktiver Widerstandskämpfer viele Jahr in Zuchthäusern und Konzentrationslagern zubringen müssen. Bei der Bundestagswahl 1961 hatte der erfolgreiche Kaufmann und Inhaber von zwei Juweliergeschäften eine Rede damit geschlossen: „Wählen Sie den Kommunisten Meyer-Buer!“ Das brachte ihm eine erneute Verurteilung von 8 Monaten Gefängnis – auf Bewährung.

In einem jahrelangen Prozess (1963 bis 1972) wurde der bis heute aktive Antifaschist und Gewerkschafter Lorenz Knorr vom Landgericht Wuppertal wegen „Beleidigung der deutschen Wehrmacht“ zu mehrfachen Geldstrafen verurteilt, dabei hatte er wegen „Wehrkraftzersetzung“ zweimal vor dem Nazi-Kriegsgericht gestanden. Hannover verteidigte Vietnamkriegsgegner, Atomwaffengegner und Günter Walraff (1968 und 1975). Eine Zeit lang war auch Ulrike Meinhof seine „schwierige Mandantin“. Er plädierte im Wiederaufnahmeverfahren gegen das noch gültiger Urteil gegen Karl von Ossietzky (1988 bis 1992) und verteidigte Hans Modrow gegen den Vorwurf der Fälschung von Kommunalwahlen in der DDR vom Mai 1989 (1993) „… was da an siegreicher Justizabrechnung präsentiert wird, hat mir offenbar mehr Unbehagen verursacht als den Vielen, die sonst mit dem militärischen Tötungsprivileg und der planvollen Vorbereitung des atomaren Massenmordes keine Probleme haben.“ Alle diese Prozesse hat Hannover in seinem Buch im geschichtliche Kontext referiert. 1986 hat er von der Humboldt-Universität Berlin und 1996 von der Universität Bremen die Ehrendoktorwürde bekommen.

Auch im Ruhestand ist er Anwalt geblieben: Sein Buch liest sich wie ein kritisches Geschichtsbuch der Bundesrepublik. Besonders jungen Menschen will er damit „Rechtshilfe“ leisten gegenüber dem heute gängigen Geschichtsbild, von dem er sagt, dass es in der Bundesrepublik seit fünfzig Jahren von „Mitschuldigen“ bewusst so geprägt wurde. Heinrich Hannover, der als Autor von fröhlichen Kinderbüchern die Kleinen zum Träumen und Lachen gebracht hat, will erreichen, dass die „nächste Generation“ für den Zeitabschnitt 1954 bis 1995 die ganze Wahrheit über deutsche Geschichte begreifen lernt.

Der Schlusssatz seines Buches lautet: „Denn man gibt ja die Hoffnung nicht auf, dass man auch mit Büchern etwas dazu beitragen kann, die Welt zu verändern. Sie hat es nötig.“