Ein Leben auf Abbruch

geschrieben von Ernst Antoni

5. September 2013

Vor 70 Jahren starb der Dichter Max Herrmann-Neisse im Exil

März-April 2011

Da sitzt er, der kleine Körper leicht gekrümmt, in einem geblümten Sessel. Bürgerlicher dunkler Dreiteiler, Gamaschenschuhe, auf dem unverhältnismäßig großen Kopf beachtliche Brillengläser. Dahinter wache Augen. Das Porträt des Schriftstellers Max Herrmann-Neisse, 1925 gemalt von seinem Freund George Grosz, ist damals eines der meist beachteten Bilder in der Mannheimer Städtischen Kunsthalle. Erstmals präsentiert sich dort in größerem Rahmen die künstlerische »Neue Sachlichkeit« dem Publikum.

Zwölf Jahre später, 1937, ist das Porträt in München zu sehen. In der NS-Ausstellung »Entartete Kunst« im Hofgarten steht es als ein Beispiel für die »Barbarei der Darstellung« und die »absolute Dummheit der Stoffwahl« (so das Nazi-Begleitheft zur Bilderauswahl in dem Raum mit Porträtmalereien und -zeichnungen von Grosz, Dix, Kokoschka und anderen). An die Wand neben das Hermann-Neisse-Porträt gefetzt ist ein verhunztes Zitat des Dichters: »Ist nicht Kunst nur eine recht mufige Frucht vom Balkonbäumchen bürgerlich romantischer Realität?«

Sie haben ihn gehasst die Nazis, den kleinwüchsigen buckligen Schriftsteller, den blitzgescheiten Beobachter, den Satiriker und Bohemien, aber eben auch den Lyriker, seine expressionistisch-pazifistische Gedichte aus den Jahren um den Ersten Weltkrieg und die einfacheren, eingängigeren danach. Herrmann-Neisse gehört längere Zeit zum Kreis um den Herausgeber der avantgardistischen Literatur- und Kunstzeitschrift »Die Aktion«, Franz Pfemfert, teilt zeitweise dessen revolutionäres Engagement, das diesen in die Reihen des KPD-Linksabspalters KAPD führt. In Herrmann-Neisses Werk jedoch findet das – abgesehen von literaturtheoretischen Vortragstexten – kaum Eingang. Er wendet sich zunehmend traditionellen Versformen zu, schreibt Sonette, pflegt den Endreim.

Vielleicht liegt es auch daran, dass der Dichter, geboren als Max Herrmann am 23. Mai 1886 im schlesischen Neisse, dem heutigen polnischen Nysa, gestorben am 8. April 1941, vor knapp 70 Jahren, in London an einem Herzinfarkt, Nachgeborenen meist nur durch die Porträts seiner malenden und zeichnenden Künstlerfreunde aus den 20er-Jahren präsent geblieben ist. Neben George Grosz waren dies etwa Ludwig Meidner und Oskar Kokoschka.

Unlängst gab es nicht um das Mannheimer Bild sondern ein anderes Herrmann-Neisse-Porträt von Grosz einigen Wirbel. Wieder mit politischem Hintergrund. Ein Werk aus dem Jahr 1927, heute im Besitz des Museum of Modern Art in New York. Die Grosz-Erben hatten einige Jahre lang – schließlich ohne Erfolg – gegen das Museum prozessiert. Es war einer jener Fälle, in denen es um Restitution von »Raubkunst« aus der NS-Zeit geht – und um seltsame Wege, die manche der als »entartet« gebrandmarkten Kunstwerke in private oder öffentliche Sammlungen genommen haben.

Für den so gern porträtierten Literaten, der es mit seinem Werk und als Person im Berlin der 20er-Jahre nicht nur als markante »Szenefigur« zu beachtlicher Bekanntheit bringt, bricht mit der Machtübernahme der Nazis eine Welt zusammen. Zwar kann er sich mit seiner Frau 1933 über die Schweiz nach London retten, gründet dort im gleichen Jahr mit Lion Feuchtwanger, Ernst Toller und anderen den Exil-PEN, muss aber bald feststellen, dass es für ihn kaum mehr Veröffentlichungsmöglichkeiten gibt.

1935 hofft er noch auf ein Ende der Hitlerei (»Der falsche Magier«): »(…) man hatte die traurigste der Gestalten / ganz ernst genommen, vor ihr sich geduckt, / das Nichts für einen Wert gehalten / und leere Drohungen geschluckt. / Jetzt war der ganze faule Zauber / mitsamt dem Zaubrer zu Luft verlacht. / Man fügte sich wieder, beschämt doch sauber, / der Wirklichkeit, der sinnvollen Macht.«

Im 1936 mit einem Vorwort von Thomas Mann in Zürich erschienen Gedichtband »Um uns die Fremde« steht dann schon sein zumindest im Zitatauszug wohl bekanntestes Gedicht »Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen« (»…jetzt ist mein Leben Spuk wie mein Gedicht.«) Und 1938 thematisiert er sein heute für Menschen aus anderen Breiten wieder gespenstisch aktuelles Exil-Erleben: »Wieder musst du durch die Welten fahren, / überall verfemt und abgelehnt, / auch in deinen letzten Lebensjahren / ohne das, wonach dein Sinn sich sehnt, / dort noch, wo sie dir ein Obdach geben, / flüchtig nur geduldet, unbekannt, / immer scheu und wie auf Abbruch leben, / bis es aus dem Leben dich verbannt.« (Aus dem Gedicht »Auf Abbruch«).

Vergessen ist Max Herrmann-Neisse nicht. In seinem Geburtsort gibt es eine schöne zweisprachige Gedenktafel, wissenschaftliche Tagungen über ihn und sein Werk finden statt, an Editionen wurde und wird gearbeitet. Seine im Exil entstandenen Sehnsuchtsgedichte an die Heimat der Kindheit werden auch im Dunstkreis der Vertriebenenverbände manchmal zitiert. Dazu fiele ihm vermutlich ein pas-sender literarischer Kommentar ein.