Einblicke in die VS-Praxis

geschrieben von Peter C. Walther

5. September 2013

Modernisierung des Vorhandenen führt eher zur Verschlimmbesserung

März-April 2013

Im Januar war bereits ein Jahr vergangen, seit der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages seine Tätigkeit begonnen hat. Alle Bemühungen um Aufklärung darüber, wieso und warum die Mord- und Gewalttaten der neonazistischen Terrorzelle »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) und ihr Umfeld, in dem sie sich offen bewegten, über zehn Jahre lang unentdeckt blieben, haben noch immer zu keinem Ergebnis geführt.

Herausgekommen sind – auch bei der Arbeit der Untersuchungsausschüsse in Thüringen und Sachsen – zahlreiche Fälle von Aktenvernichtungen, Datenlöschungen, Vertuschen und Verwischen von Geschehenem und Nichtgeschehem, Erinnerungslücken bei Verantwortlichen bis hin zu offenkundigen Lügen oder der dreisten Behauptung, es sei doch alles Mögliche getan worden, so dass kein Anlass bestehe, sich etwas vorhalten zu lassen.

In einer Analyse des bisherigen Geschehens sieht die Fachzeitschrift CILIP dennoch ein durchaus positives Ergebnis der Untersuchungen: Noch zu keiner anderen Zeit habe es »so vielfältige Einblicke in die Arbeits- und Denkweise der Verfassungsschutzbehörden« gegeben. »Plötzlich liegt all das auf dem Tisch: die undemokratischen Einstellungen der Mitarbeiter/innen, das systemische Versagen in der Analyse der Naziszene und die andauernde Fehlbewertung der tödlichen Gefahren, die sich daraus ergeben«. Auf der anderen Seite werden »Antifaschistische Initiativen … bespitzelt, überwacht und denunziert«. Damit, so CILIP weiter, stelle sich »die Frage, ob der Verfassungsschutz abgeschafft gehört«.

Im Februar verkündete Verfassungsschutzpräsident Maaßen stattdessen, dass nunmehr daran gegangen werde, den Verfassungsschutz zu »modernisieren«, um ihm »mehr Effizienz« zu verschaffen. Dazu würden organisatorische Veränderungen vorgenommen und u.a. neue Arbeitsregeln erlassen, um »gezielter und ergebnisorientierter« arbeiten zu können. Doch technische und organisatorische Umstellungen führen zu keiner grundlegenden Änderung, eher zu einer Verschlimmbesserung des Vorhandenen.

Die Hauptursache der Unfähigkeit des Verfassungsschutzes, neonazistischen Gefahren wirksam entgegenzutreten, liegt in der Gesamtanlage und Ausrichtung der Ämter. Von Beginn an geprägt – auch von entsprechendem Personal mit NS-Vergangenheit – war und ist dieser Geheimdienst ausgerichtet auf Feinde von links, auf Ausländer und »Islamisten«. Bei dieser Orientierung bleibt kein Platz für Neonazis. Ebendies stellte auch der Menschenrechtsbeauftragte des Europarates, Nils Muiznieks, fest.

Und was die Strukturen betrifft: Geheimdienste sind kein Demokratieinstrument; sie sind weder demokratisch strukturiert, noch demokratisch kontrollierbar. Selbst die keiner Linken-Nähe verdächtige »Frankfurter Allgemeine« wies darauf hin, dass elf zur Verschwiegenheit verpflichtete Abgeordnete (die nicht darüber reden dürfen, was sie eventuell erfahren haben) unmöglich mehr als 10.000 Mitarbeiter der Geheimdienste kontrollieren können. Sie wüssten in der Regel nicht einmal, was sie überhaupt »kontrollieren« sollen, weil alles Tun der Geheimdienste der Geheimhaltung unterliegt. Genau das müssen auch die Untersuchungsausschüsse immer wieder erleben.

Ende Februar erfuhr der Bundestag-Untersuchungsausschuss von der Existenz einer zweiten Adressen- und Telefonliste, die im Januar 1998 bei der Durchsuchung der Garage des Jenaer Trios gefunden wurde. Auch diese Liste wurde nicht für Ermittlungen genutzt, sondern abgelegt. Und auch nachdem das Bundeskriminalamt im Zuge der neuen Nachforschungen im Januar 2012 diese zweite Liste wieder in die Hand bekam, wurde das gegenüber dem Untersuchungsausschuss ein Jahr lang verschwiegen. Verschleierungen und Verzögerungen sind weiterhin an der Tagesordnung. Ebenfalls weiter an der Tagesordnung ist die verhängnisvolle V-Leute-Praxis, mit der aktive Neonazis besoldet und ihre Aktivitäten so staatlich unterstützt werden.

Auch hier unterliegt alles der Geheimhaltung. Angaben über den Einsatz der V-Leute werden ausdrücklich verweigert. Auskünfte über V-Leute (und auch über deren Kontaktpersonen im Verfassungsschutz) unterliegen »aus grundsätzlichen Erwägungen der Geheimhaltung«, heißt es z.B. in der Antwort des Berliner Innensenators auf eine parlamentarische Anfrage. Genauso argumentiert Bundesinnenminister Friedrich. Inhalt und Umfang der Tätigkeit der zahlreichen V-Leute gerade auch in der Nähe und im Umfeld des NSU-Trios bleiben also weiter im Dunkeln.

Im April soll nunmehr der Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere vier Angeklagte vor dem Oberlandesgericht in München beginnen. Bereits jetzt wird ein weitgehender Quasi-Ausschluss der Öffentlichkeit befürchtet. Anders als etwa beim seinerzeitigen RAF-Prozess, für den eigens größere Räumlichkeiten und ein Hochsicherheitstrakt hergerichtet wurden, bleibt es in München bei einem kleinen Raum.

Darüber hinaus, heißt es, müsse damit gerechnet werden, dass der Prozess Jahre dauern könne. Auch hier ist also in absehbarer Zeit, wenn überhaupt, mit keiner Aufklärung zu rechnen.