Elend und Rechtlosigkeit

5. September 2013

»pro asyl« zur Situation abgeschobener Roma und Ashkali im
Kosovo

Nov.-Dez. 2009

Die Recherche konzentrierte sich auf wesentliche Belange der abgeschobenen Familien, Lebensunterhalt, Wohnsituation, medizinische Versorgung, Sicherheit. Leitlinie für die Recherche war neben der je spezifischen Situation die Frage, welche Aspekte zur Stabilisierung der Lebenssituation der Rückkehrer im Kosovo beitragen könnten. Die Situation von RAE-Minderheiten ist in den einzelnen Regionen unterschiedlich. Die Fallbeschreibungen sind kurz gehalten und beruhen hauptsächlich auf Befragungen der besuchten Personen, teilweise auch auf Unterlagen zur rechtlichen, sozialen und gesundheitlichen Situation der Personen vor ihrer Abschiebung.

»Die Behauptung, wonach eine Rückführung in das Kosovo für die bisher in Deutschland lebenden Roma ›mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit‹ ein Leben in ›absoluter Armut, Arbeitslosigkeit und Verelendung‹ bedeute, wird von der Bundesregierung nicht geteilt.«

Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke

Die Ashkali sind eine ethnische Minderheit im Kosovo und werden zu den Roma gezählt.

Der gesamte, umfangreich dokumentierte Bericht einschließlich politischer Schlussfolgerungen ist unter www.proasyl.de nachzulesen

Im Frühjahr 2009 ergingen Rundschreiben zahlreicher deutscher Innenministerien an die zuständigen Ausländerbehörden, noch in Deutschland lebenden Personen aus dem Kosovo, die über keinen gesicherten Aufenthaltsstatus verfügen, die freiwillige Ausreise nahe zu legen und die Abschiebung anzudrohen. Am 15. September 2009 erfolgte von Karlsruhe/Baden Baden die erste Charterabschiebung, die zahlreiche Roma-Angehörige betraf, am 28. September 2009 eine zweite von Düsseldorf. Im September 2009 besuchte Stephan Dünnwald im Auftrag von pro asyl das Kosovo und dokumentierte dort die Lebensumstände von zehn Familien mit insgesamt 47 Personen in verschiedenen Orten. Nachfolgend einige Auszüge aus seinem Bericht:

Frau Moreni ist Ashkali, und wohnt mit vier Kindern in einem Haus in Vitumirice, etwa 300 Meter abseits der Hauptstraße. Sie wurden am 4. November 2008 in den Kosovo abgeschoben, nach 17 Jahren in Deutschland. Der Vater und Ex-Ehemann ist seit längerem mit einer Deutschen verheiratet und schwer krebskrank. Die allein erziehende Frau Moreni ist herzkrank und behandlungsbedürftig. Eine Herzoperation sollte in Deutschland in die Wege geleitet werden. Im Kosovo sind Herzoperationen nicht durchführbar, ganz zu schweigen von den Kosten, die vom Patienten aufzubringen sind. Die Kinder können wenig Albanisch und gehen nicht zur Schule. Auf Befragen antworten sie, dass sie keinen Kontakt zu anderen Jugendlichen im Ort haben und aus Angst vor Übergriffen selten aus dem Haus gehen. Der älteste Sohn macht einen depressiven Eindruck, die anderen wirken aufgeweckt, wenn auch wegen ihrer Situation sehr besorgt.

Frau Moreni hat im Kosovo keine Verwandten, sie kommt ursprünglich aus Montenegro, ihr Mann war aus der Gegend von Peja. Dort besitzt die Familie des Mannes noch 35 Ar Land, das Haus jedoch ist zerfallen. Eine Möglichkeit, die von Frau Moreni erwogen wird, ist der Kauf eines Wohnwagens, um in diesem dann auf dem Land des Ex-Mannes zu leben. Sie hat jedoch keine Mittel für eine solche Anschaffung. Das Haus, in dem die Familie jetzt wohnt, gehört Bekannten. Die Familie kann dort nur übergangsweise wohnen. Das Haus ist geräumig, jedoch nur sehr notdürftig eingerichtet. Ein kleiner Gaskocher dient zum Kochen. Wasser gibt es nur sporadisch, so dass es in Vorratsbehältern aufgefangen werden muss. Auch Strom gibt es nur selten. Mehrere dünne Matratzen dienen als Schlafgelegenheit.

Herr Ibrahimi wurde 7. Oktober 2008 mit Frau und vier Kindern abgeschoben. Sie wohnten in Blaubeuren, Baden-Württemberg, in einer Wohnung. Er hatte eine feste Arbeit beim Lastwagenhersteller IVECO in Ulm. Nach der Abschiebung ging die Familie zurück in die Mahala, wo Hilfsorganisationen ein Haus gebaut hatten für seine Eltern. Das Haus hat im Erdgeschoss ein Zimmer mit kleiner Küche. Herr Ibrahimi wohnt mit Frau und Kindern im oberen Stockwerk, das aus einem Raum besteht. Die Familie bekommt 70 Euro Sozialhilfe, davon muss Herr Ibrahimi aber allein monatlich 20 bis 25 Euro für Strom bezahlen. Seine Mutter bekommt 50 Euro zusätzlich vom Sozialamt, weil sie krank ist. Alle Kinder Ibrahimi gehen in die Schule, alle sprechen inzwischen albanisch. Es fehlt aber Geld für Unterrichtsmaterialien oder Schultaschen. Die Arbeitslage ist prekär. Herr Ibrahimi hat eine Weile Plastik gesammelt, wovon ein Berg Plastikmüll hinter dem Haus zeugt. Die Firma, die die Flaschen abholen soll, kommt nicht. Zur Zeit findet Herr Ibrahimi bisweilen einen Job als Tagelöhner, auch arbeitet er im Projekt »Industrial Hotel«. Nach seiner Abschiebung konnte Familie Ibrahimi auf ein noch existierendes verwandtschaftliches Netz zurückgreifen. Ein Bruder wohnt im eigenen Haus nebenan. Weitere Verwandte wohnen bei Ferizaj im Süden, sie schenkten ihm einen Teppich und Polster zum Schlafen. Ein Bruder und eine Schwester der Familie, die noch in Deutschland wohnen, unterstützen ihre Verwandten im Kosovo diskontinuierlich finanziell.

Osma Rama wurde Ende Juli 2008 mit Frau und fünf Kindern nach mehreren Jahren Aufenthalt aus Deutschland abgeschoben. In Deutschland wohnte die Familie in Sindelfingen. Zwei der Kinder sind in Deutschland geboren, alle gingen in die Schule, das jüngste in den Kindergarten. Die Familie wohnt gemeinsam mit der Mutter Herrn Ramas in einem kleinen einstöckigen Häuschen. Das Haus gehört Nachbarn. Die Großmutter ist krank und bräuchte Medikamente, die Familie bekommt keine Sozialhilfe, weil sie nicht bei der Behörde registriert ist. Herr Rama erklärt, dass die Familie ursprünglich in der Gegend von Peja gelebt habe. Dort sei er Polizist bei der serbischen Polizei gewesen, aus diesem Grund könne die Familie nicht zurück. Auch die Kinder seien nicht an der Schule angemeldet. Er wohne in der Mahala von Mitrovica, weil er sich dort einigermaßen sicher vor Verfolgung fühle. Herr Rama hat keine Arbeit, auch sei es schwierig, die Mahala zu verlassen. Er wolle es noch einen Monat versuchen, dann werde er nach Serbien gehen oder nach Montenegro, um dort Arbeit zu finden.

Familie Adjari lebte in Gifhorn in Niedersachsen, bevor sie 2007 abgeschoben wurde. Die Eltern waren früher Musiker. Beide sind an die 60 Jahre alt, krank, haben Bluthochdruck und Herzprobleme. Sie können nicht arbeiten, haben auch kaum eine Chance, in ihrem Alter Arbeit zu finden. Meist redet die älteste Tochter, die nicht mehr in die Schule geht und hervorragend Deutsch spricht. Ihre zwei jüngeren, in Deutschland geborenen Geschwister gehen zur Schule. Das Haus gehört ihnen nicht, sie bezahlen Miete. Auch vor dem Krieg haben sie zur Miete gewohnt. Jetzt sagt der Besitzer, er wolle das Haus verkaufen. Sämtliche Verwandten der Familie wohnen in Deutschland, Geldüberweisungen von dort sind die einzige Einnahmequelle der Familie.

Das Ehepaar Berisha ist nicht abgeschoben worden. Nachdem ein Abschiebeversuch wegen eines Suizidversuchs Herrn Berishas abgebrochen worden war, reiste das ältere Ehepaar auf Druck der Ausländerbehörde selbständig aus. Die Kommune in Sachsen-Anhalt lehnte es jedoch ab, eine Reintegrationshilfe zu zahlen. So bekommt das Ehepaar neben den REAG/GARP Mitteln vielleicht noch eine einmalige Unterstützung von 2.000 Euro durch einen Roma-Verein, eine Entscheidung darüber steht jedoch noch aus. Das Haus des Ehepaars bzw. der Familie von vier Brüdern stand in Prishtina, nicht in Fushe Kosova. Es ist nicht mehr bewohnbar. Ein anderes Haus auf dem Grundstück ist an Albaner vermietet. Die Miete kommt der kranken Schwester zugute, so haben es die Brüder entschieden. Geld für ein neues Haus ist nicht da. In Fushe Kosova lebt das Ehepaar bei Bekannten, hat ein Zimmer bekommen, vorläufig. Herr Berisha hat früher in der Poststelle einer Behörde gearbeitet, die längst abgewickelt ist. Inzwischen ist er bei weitem zu alt und zu lange weg gewesen, als dass er mit den vielen jungen Männern um eine Arbeitsstelle konkurrieren könnte. Zu den möglichen Auseinandersetzungen um den gemeinsamen Besitz zwischen den vier Brüdern kommt ein weiterer Umstand hinzu. Recherchen einer Rückkehrberatungsstelle in der Nachbarschaft in Prishtina ergaben, dass einer der Brüder Berisha verdächtigt wird, Ende der 90er Jahre Häuser, deren albanische Besitzer vertrieben worden waren, geplündert zu haben. Herr Berisha selbst hatte damit nichts zu tun, war damals schon im Ausland. Aber unter diesen Umständen würde er sich mit einer Rückkehr nach Prishtina einer großen Gefahr aussetzen, tätlich angegriffen oder sogar getötet zu werden. Die Ashkali Siedlung in Fushe Kosova verspricht dagegen einen gewissen Schutz.

In Tuza haben wir uns bei einem Bekannten der Familie Berxulli telefonisch angekündigt und einen Treffpunkt vereinbart. Wir fahren gemeinsam durch Tuza und halten am südlichen Ortsrand an der Straße. Gegenüber liegt eine Ansammlung von Hütten und Verschlägen, wo auch Familie Berxulli lebt. Das Ehepaar Berxulli wurde mit fünf Kindern Ende Juli 2009 aus Niedersachsen abgeschoben. In Prishtina schlugen sie die Unterstützung des BAMF-Projektes URA 2 aus, und gingen über Peja direkt nach Montenegro. Die Familie hatte früher in einer Ortschaft bei Klina gewohnt und war schon 1992 nach Deutschland geflüchtet. Sie hatte 17 Jahre lediglich mit einem Duldungsstatus in Deutschland gelebt. Der zweitälteste Sohn ist geistig behindert und war in Deutschland in einer Betreuungseinrichtung untergebracht. Die Behausung der Familie ist wenig mehr als ein Verschlag, unvollständig mit Plastik verkleidet, der Regen tropft durch die Decke. In der Hütte qualmt ein Ofen. Der Boden ist mit Plane ausgelegt nur einen Teil bedecken zwei kleine Teppiche. Nachbarn haben beim Bau geholfen. Wir können nicht genau herausfinden, warum die Familie nicht im Kosovo geblieben ist. Herr Berxulli sagt, dass er Angst habe zurückzukehren. Die Familie hat allerdings vor Beginn der meisten Gräueltaten den Kosovo verlassen. Auch wohnten in der Gegend keine Serben. Trotzdem kann es sein, dass es Auseinandersetzungen zwischen Albanern und Roma gegeben hat, auch später, so dass Roma nicht in den Ort zurückkehren können. Auch private Auseinandersetzungen mit Nachbarn können der Grund dafür sein, dass die Berxullis Angst haben zurückzukehren. Das Haus der Familie existiert nicht mehr, und in der angegebenen Ortschaft fand das BAMF-Projekt niemanden mehr, der die Familie gekannt hat. In Tuza hingegen stellen wir fest, dass zumindest einer der Nachbarn auch aus der Ortschaft stammt, in der die Berxullis früher gelebt haben. Wir vermuten, dass die Roma aus dem Ort geflüchtet sind, und dass zumindest ein Teil von ihnen in Tuza lebt.