Europa – ja, bitte. Aber wie?

geschrieben von Martin Schirdewan

5. September 2013

Das Konzept von Geert Wilders ist nicht aufgegangen

Nov.-Dez. 2012

Die Niederlande haben gewählt. Der Krise sei Dank entschieden sich die Wählerinnen und Wähler deutlich gegen rechtspopulistische Angebote. Doch kann die im Zentrum Europas getroffene pro-europäische Entscheidung zu einem Menetekel für die europäische Peripherie werden und damit mittelfristig der Idee eines friedlichen und demokratischen Europas nachhaltigen Schaden zufügen.

Am 12. September 2012 wählten sich die Niederländer in die Herzen der Europäer. Ein intensiver Wahlkampf ging dem knappen Sieg der als rechtsliberal klassifizierten Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) vor der sozialdemokratischen Arbeitspartei voraus. Ein Wahlkampf, in dessen Zentrum nicht, wie vorhergesagt, die Haltung der Parteien zu Europa und der Finanz- und Wirtschaftskrise stand. Entlang dieser politischen Konfliktlinie entschied sich lediglich, wer eine realistische Chance besaß, erster oder zweiter Sieger der Wahlen zu werden oder welche Partei sich mit einer dezidierten europakritischen Position von vornherein um den dritten oder vierten Platz im Parteienspektrum bewarb.

»Wie das?«, mag sich der Leser fragen, da doch alle Umfragen bis kurz vor Ultimo der Sozialistischen Partei (SP) eine reale Siegchance vorherorakelten. Der Kolumnist gesteht, auch er hätte sich über einen Erfolg der Sozialisten durchaus gefreut. Doch im Endergebnis gingen diese knapp geschwächt mit derselben Anzahl von Sitzen (15) wie zuvor aus den Wahlen als viertstärkste Kraft hervor. Der prognostizierte Dreikampf fand nur in den demoskopischen Erhebungen vor dem 12. September statt. Ein Dreikampf, der vor allem den feuilletonistisch dominierten selbstreferenziellen Politikjournalismus und seine Rezipienten in seinen Bann schlug. Ein Dreikampf, in dem von vornherein klar war, dass es keinen Vierten geben darf. Zum Glück. Dank an alle, die in der veröffentlichten Meinung dazu beigetragen haben. Denn der Vierte, dessen Partei der Freiheit trotz massiver Verluste (jetzt 15 Sitze, vorher 24) noch immer drittstärkste des Landes ist, das ist der lauthalsige Rechtspopulist Geert Wilders. Doch die Hochzeit Wilders, scheint beendet.

Der erklärte Islamfeind und Europagegner Wilders rechnete sich von vorgezogenen Neuwahlen eigentlich die Chance aus, selbst stärkster Mann im Staate werden zu können. So sein Kalkül, als er dem von der europäischen Krise geprägten Haushalt seine Zustimmung verweigerte und die von ihm tolerierte Regierung der VVD keine Mehrheiten mehr zu organisieren wusste. Doch seine markigen Sprüche, seine Partei sei gegen Europa gegründet, gegen das Diktat aus Brüssel, zogen im Wahlkampf nicht. Das Konzept, mit Xenophobie und Wohlstandschauvinismus Wahlerfolge zu erringen, funktionierte zumindest in den Niederlanden nicht mehr.

Im Zentrum der Entscheidung der Wählerinnen und Wähler stand die soziale Frage: Wie lösen wir die Finanz- und Wirtschaftskrise bei einem grundsätzlichen pro-europäischen Bekenntnis? Sparen oder Konjunkturprogramme? Sollen die Verursacher der Krise zur Kasse gebeten werden oder Willem-Normalverbraucher?

Zu ernst betrifft die Menschen die Krise, zu groß sind die Sorgen und Zukunftsängste, als dass sich hier mit plumpen Anti-Populismus politische Mehrheiten erringen ließen. Das ist die Lehre aus dem Wahlergebnis. Dies gilt zuvorderst für die Rechtspopulisten, deren Niederlage uns die Hoffnung schenkt, dass auch in anderen europäischen Ländern trotz Krise die Wählerinnen und Wähler davon abgehalten werden, in ausländer- und islamfeindlichen sowie die Europäische Einigung ablehnenden Losungen Lösungen für die Krise zu erkennen und europafeindlich zu wählen. Nur – es sei an dieser Stelle gestattet, eine klar wertende Haltung einzunehmen – haben sich die Niederländerinnen und Niederländer leider mehrheitlich für eine Fortsetzung der europäischen Austeritätspolitik entschieden. Sparen und Kürzungen, Fiskalpakt und Schuldenbremse schienen bislang jedoch, siehe Griechenland, Portugal, Spanien nicht die geeigneten Instrumente nachhaltiger Anti-Krisenpolitik zu sein. Das fortwährende Erstarken der griechischen Faschisten spricht eine eigene Sprache. So kann und wird eine pro-europäische Position verbunden mit einer falschen Politik zum völlig gegenteiligen Effekt führen: dem Erstarken nationalistischer, anti-europäischer Kräfte.

In den Niederlanden stehen sowohl Wahlsieger als auch die Sozialisten vor der Aufgabe, ihre Ideen von Europa zu entwickeln und konkretisieren. Im Interesse der Niederländerinnen und Niederländer und im Interesse der europäischen Bevölkerung. Von einem Geert Wilders darf man da auch weiterhin nichts erwarten.