Fluchthilfe als Widerstand

geschrieben von Peter Fisch

5. September 2013

Erinnerung an Lisa und Hans Fittko, die unzählige Menschen
retteten

Sept.-Okt. 2008

Lisa Fittkows Bücher sind antiquarisch noch erhältlich.

Die Finanzierung des Denkmals für Hans und Lisa Fittko wurde vom Deutschen Bundestag 1992 mit der Begründung abgelehnt hatte, es sei »nicht zu verantworten, eine Million in einem abgelegenen Ort mit sehr geringem Nutzwert zu stecken«. Das Denkmal wurde schließlich von der katalanischen Regierung, der Gemeinde Banyuls-sur-mer und privaten Sponsoren finanziert.

In Banyuls-sur-Mer, einem französischen Fischerort am Fuße der Pyrenäen, wurde am 13. Februar 2001 ein Denkmal enthüllt. Es trägt die schlichte Inschrift: »Es war das Selbstverständliche. Dem Andenken von Lisa und Hans Fittko und den vielen anderen«.

Von September 1940 bis April 1941 führten die Fittkos Verfolgte des Nazi-Regimes über die Pyrenäen. Ihre Tat rettete vielen Menschen, darunter bekannten Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern, das Leben. Am 26. September 1940 machte sich Lisa Fittko zum ersten Mal auf den strapazenreichen Weg über die Berge. Drei Exilanten waren die ersten, die sich ihrer Führung anvertrauten, um über einen alten Schmugglerpfad spanischen Boden und von dort aus Lissabon zu erreichen.

Entscheidend für die Fittkos, diese gefährliche Mission zu übernehmen, war ihre Begegnung mit dem US-amerikanischem Journalisten Varian Fry. Dieser leitete, ausgestattet mit gesammelten Gel-dern, die Hilfsorganisation »Emergency Rescue Comittee«, die bedrohten Flüchtlingen half.

Getragen von tief verwurzelten humanistischen Überzeugungen retteten die Fittkos vor den Nazis Geflohene, ohne nach deren sozialer Herkunft, Parteizugehörigkeit oder weltanschaulicher Position zu fragen. Zu Ehren von Lisa und Hans Fittko wurde der Fluchtpfad bald »Route F« (»Fittko«) genannt. Ungezählte Flüchtlinge, unter ihnen Heinrich Mann, der Bruder von Katia Mann, Hannah Ahrendt, Fermi, Chagall, Walter Mehring, André Breton, Lion Feuchtwanger, Alma Mahler und Franz Werfel konnten auf diesem Wege dem tödlichen Zugriff der Gestapo entkommen.

Im Herbst 1941 mussten die Fittkos selbst um ihre Sicherheit bangen. Varian Fry wurde vom Vichy-Regime ausgewiesen. Es verwundert nicht, dass Fry durch die US-Regierung keinerlei Anerkennung erfuhr, im Gegenteil. Der Nähe zu den Kommunisten verdächtigt, erlebte er nach dem Krieg die Schrecken der McCarty-Ära. Er fand keine Möglichkeit mehr, in seinem Beruf zu arbeiten.1967 verstorben, ehrte der Staat Israel ihn posthum im Jahre 1996 in der Gedenkstätte Yad Vashem.

Wahrscheinlich wüssten wir gar nichts von Hans und Lisa Fittko, wäre nicht, 40 Jahre (!) nach dem Tod von Walter Benjamin dessen Freund Gershom Sholem auf einen Kurzbericht von Lisa Fittko gestoßen, der einige Aussagen über das tragische Schicksal Benjamins, (er beging nach versagtem Grenzübertritt Selbstmord) und den Verbleib seiner philosophischen Manuskripte enthielt. Auf Anraten Sholems erweiterte Lisa Fittko ihren Bericht.1985 lag er unter dem Titel »Mein Weg über die Pyrenäen« vor. Ohne Pathos schildert sie darin ihr Leben als Emigrantin in Frankreich, die faschistische Okkupation, die Gefahr der Verfolgung und Internierung, die Kontakte zu Fry, die selbstlose Hilfe für die Exilanten sowie ihre am Ende erfolgreiche eigene Flucht und ihr Leben in der Emigration auf Kuba. Sieben Jahre später erschien ein weiterer Memoirenband von ihr unter dem Titel »Solidarität unerwünscht. Meine Flucht durch Europa«. Gegenstand dieses Buches sind hauptsächlich die Jahre von 1933 bis 1940.

In einer deutschsprachigen jüdischen Familie 1909 in Uzgorod, einer Kleinstadt im östlichen Teil Österreich-Ungarns geboren, wurde Lisa Fittko vor allem durch das linke intellektuelle und politische Milieu in Berlin und Wien geprägt, Städte, in denen sie ihre Jugend verbrachte. Sie beteiligte sich aktiv an den politischen Kämpfen der 20er- und frühen 30er-Jahre. Nach der Errichtung der faschistischen Diktatur entschloss sie sich zunächst, in Deutschland zu bleiben und in den Untergrund zu gehen. Als die unmittelbare Gefahr bestand, verhaftet zu werden, geht sie ins Exil. In Prag lernt sie ihren späteren Ehemann kennen, den Kommunisten Hans Fittko. Ohne Unterbrechung setzten beide ihre antifaschistische Arbeit fort. Ihr Weg führte sie über die Tschechoslowakei und die Schweiz schließlich nach Frankreich.

Nach dem faschistischen Überfall auf Frankreich wurden die Fittkos interniert. Lisa kam nach Gurs, Hans nach Vernuche, beides Lager im noch unbesetzten Teil Frankreichs. Mit Mut, List und Glück, unterstützt von Franzosen, fanden sie 1940 in Montauban wieder zusammen und gingen nach Marseille. Hier begann ihr eingangs geschildertes Wirken zur Rettung der Emigranten. Beide standen auf der Fahndungsliste der Gestapo. Sie besaßen nicht einmal gültige Pässe. Lisa war es, die den möglichen Fluchtweg fand: Er führte von Port Vendre (Frankreich) nach Port Bou (Spanien). Als im April 1941 die Vichy-Regierung Ausländern verbot, sich in Grenznähe aufzuhalten und die Gefahr der Auslieferung an die Nazibehörden immer größer wurde, nahmen die Fittkos das Angebot Varian Frys an und flüchteten nach Kuba, wo sie bis 1948 blieben.

Anschließend lebten sie in Chicago, wo Hans Fittko 1960 verstarb. Nach ihrer Versetzung in den Ruhestand begann Lisa Fittko mit dem Schreiben und engagierte sich in der Friedensbewegung. 1994 war sie Ehrengast bei der Feier zur Einweihung des Denkmals in Port Bou, das zu Ehren Walter Benjamins errichtet worden war. Sie starb am 12. März 2005.