Für Widerstand und Freiheit

geschrieben von Sabina Bilalovic und Malte Gossmann

5. September 2013

Bejarano & Microphone Mafia mit neuem Album: »la vita
continua«

Mai-Juni 2013

Bejarano & Microphone Mafia

»la vita continua« Label: AlDente, März 2013, 14,99 Euro

Es begann alles mit frohen Neujahrswünschen für 2008. In dem liebevoll gestalteten Booklet des neuen Albums »la vita continua« ist der erste Brief von Kutlu Yurtseven und Rossi Pennino an Esther Bejarano und ihre Kinder Edna und Joram abgedruckt. Er zeigt, wie einfach es sein kann, kultur-, generationen- und genreübergreifend zusammenzufinden, um ebenso gute wie wichtige Musik zu machen.

Esther Bejarano, Ehrenvorsitzende der VVN-BdA, wurde als Jüdin 1943 von den Nazis nach Auschwitz deportiert. Dort musste sie im »Mädchenorchester« Akkordeon spielen – was ihr das Leben rettete. Sie wurde in das KZ Ravensbrück verlegt, doch gelang ihr 1945 auf einem Todesmarsch die Flucht. »Es steht mir zu, zu leben« kommentierte Esther 1993 in einem gleichnamigen Videoportrait ihr Überleben. Bis heute kämpft sie gegen Neonazismus und Ausgrenzung und spricht mit Jugendlichen über ihre Geschichte. Anfang der 1980er gründeten Edna, Joram und Esther die Gruppe Coincidence, die bei ihren Auftritten vor allem jüdische und antifaschistische Lieder spielt.

Die Rap-Band Microphone Mafia wurde 1989 in Flittart, einem Kölner Arbeiterviertel, unter anderem von Rossi und Kutlu gegründet. Als Kinder sogenannter Gastarbeiter reflektieren sie in ihrer Musik immer wieder mit viel Menschlichkeit ihre eigenen gesellschaftlichen Positionen und setzen sich gegen Rassismus ein. Auf persönliche Art und Weise geben sie vielen, die in ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen sind, Kraft und bringen jenen, die aus privilegierteren Verhältnissen kommen, ihre Realität nahe.

Auf den ersten Blick scheinen Coincidence und Microphone Mafia sehr verschieden, aber genau diese Vielfältigkeit ist die Stärke des gemeinsamen Projekts. »La vita continua« ist inhaltlich und stilistisch eine Fortführung des 2009 veröffentlichten Albums »per la vita«. Musikalisch stellt es eine Synthese von ruhigen Rap-Instrumentalen und Akustikinstrumenten dar, von ausdrucksstarkem Gesang und eindringlichen Raps auf türkisch, deutsch, kölsch, italienisch und jiddisch. Textlich lassen sich Bezüge zu Bertolt Brecht genauso finden wie zu traditionellen jiddischen Liedern.

»In Flittard«, so die Microphone Mafia auf ihrer Homepage, »spricht man deutsch, türkisch, italienisch, jede Menge andere Sprachen – und natürlich Kölsch.« Dass sie kölsche Jungs sind, stellen sie in »Wann jeiht d’r Himmel widder op« eindrucksvoll unter Beweis. Das Lied basiert auf einem Song der Band »Die Höhner«, die vor allem durch Karnevalsschlager bekannt wurde. Die Interpretation von Bejarano & Microphone Mafia ist allerdings alles andere als ein Karnevalsschlager. Das Lied zeigt mit dem Leben von »Gastarbeiterkindern« eine weitere Kölsche Realität: »Zwei Fragen mich stets prägten: seit wann ich hier lebe – Was dann folgte war sofort: wann ich denn wieder gehe« sind Fragen, die nicht nur Kutlu und Rossi, sondern ganze Generationen bis heute prägen.

Das Lied »Yorgun« (Müde) stammt eigentlich vom Rockmusiker Cem Karaca, der als Dissident in der Türkei verfolgt wurde und 1979 ins Exil in die BRD ging. Den Text hatte Karaca von dem kommunistischen Dichter Nazım Hikmet übernommen, der ebenfalls in der Türkei verfolgt wurde und in den 1920ern in die Sowjetunion floh. »Mein Leben ein Leben voller Revolutionen« rappt die Microphone Mafia, während Coincidence im Refrain »Çok Yorgunum« (Ich bin zu erschöpft) singen. Das Lied lebt von den verschiedenen Biografien und ist ein bewegendes Plädoyer für das Bewahren linker Geschichte – oder besser gesagt: vieler linken Geschichten.

Ob in »Tränen rot wie Blut« der Résistance gedacht wird oder in »Margaritkele« Liebe und Zuneigung zur Sprache kommen: durch eine persönliche und ehrliche Herangehensweise erklärt sich der Zugang von Bejarano & Microphone Mafia zur Thematik stets von selbst. Dass es manchmal musikalisch etwas knirscht, wenn solch unterschiedliche künstlerische Einflüsse zusammenkommen, erscheint nicht nur nebensächlich, sondern sogar willkommen. Denn die (vermeintlichen) Widersprüche sind es, die das Album so spannend machen.

»La vita continua« schafft, was einer linken Bewegung bisher noch zu selten gelingt: aus der Perspektive der Betroffenen die Geschichte faschistischer Verfolgung zu verbinden mit einem Blick auf Unterdrückung und Ausgrenzung nach 1945. Wenn sich auf dem Album Bertolt Brecht und Cem Karaca im Exil treffen, dann werden, ohne jegliche Gleichsetzung, letztendlich Kontinuitäten von Unterdrückung und Ausgrenzung deutlich. Doch nicht nur das: »la vita continua« heißt auch, dass der Widerstand fortbesteht und die Idee einer besseren Welt lebendig bleibt. Bejarano & Microphone Mafia machen Musik, die inspiriert und Mut gibt. Musik, die uns wissen lässt: »Wir sind die, die Geschichte neu schreiben (…) man wollte uns vernichten, wir waren verloren / sind für Widerstand und Freiheit neu geboren« (Wir leben trotzdem).