Heimatlose Vertriebene

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Spontane Bemerkungen zu einer fatalen Ausstellung

Sept.-Okt. 2006

„Gezwungene Wege – Flucht und Vertreibung in Europa des 20. Jahrhundert“ wird veranstaltet von der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibung“.

Der Anblick von so viel Leid und Elend, das Flüchtlingen und Vertriebenen im 20. Jahrhundert aufgebürdet worden ist, macht befangen. Sinnfällig haben die Ausstellungsmacher mit großer Sorgfalt Fotos, kurze Texte, Gegenstände, aber auffällig wenige Dokumente in vier thematisch gegliederten Räumen arrangiert. Wer bisher dachte, dass geschichtliche Zusammenhänge sich erst dann erschließen, wenn die Ursachen der Ereignisse und ihrer Folgen aufgezeigt werden, erfährt, daß dies nicht der Fall sein muss. Denn die Ausgangsthese dieser Präsentation lautet: „Durch den vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg erreichten Flucht und Vertreibung eine neue, erschreckende Dimension. Die Deutschen sind mit bis zu 14 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen am stärksten betroffen.“

Sind Deutsche nicht „betroffen“ von den Millionen als Binnenflüchtlinge Vertriebener in den damals eroberten und besetzten Ländern Europas? Und von den Millionen aus ihrer Heimat zur Zwangsarbeit nach Deutschland Verschleppten? Ich frage, was ist der Unterschied zwischen ihnen und den deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen? Erst der verlorene Krieg nahm diesen die Heimat. Was aber wäre gewesen, wenn der von großen Teilen der deutschen Bevölkerung noch im Dezember 1944 erhoffte „Endsieg“ doch eingetreten wäre? Dann wäre der „Generalplan Ost“ (in der Ausstellung nur marginal erwähnt) zu Himmlers verbindlicher Gebrauchsanweisung für den Umgang mit den besiegten Völkern des Ostens geworden: Als Slawen hätten sie kein Recht mehr auf Heimat gehabt. 31 Millionen sollten als Arbeitssklaven nach Sibirien umgesiedelt werden. Aber alle Deutschen hätten ihre Heimat behalten und das eroberte Land wäre bis zum Ural zur deutschen Scholle erklärt worden. Schon der „Alldeutsche Verband“ sah in seiner „Kriegszieldenkschrift“ vom September 1914 für Russisch-Polen und Russland eine umfangreiche Vertreibung der Bevölkerung und eine neue Besiedlung durch deutsche Bauern vor: Feindesland wird deutsche Heimat.

Eingereiht in acht erschütternde Fallbeispiele von Genozid und Vertreibung werden die beiden Weltkriege in der Ausstellung fatal verharmlost. Wer die Deutschen zu Opfern von Flucht und Vertreibung gemacht hat, erklärt eine Tafel: „Die Hauptursache für die Vertreibung der Deutschen aus den deutschen Ostgebieten war die durch Stalin betriebene und von den Westalliierten und der polnischen Regierung akzeptierte Westverschiebung Polens bis an die Oder-Neiße-Grenze.“ Es geht also nicht um gescheiterte deutsche Eroberungsinteressen, sondern um „Selbstvergewisserung um die eigene Herkunft“.

Die Fallbeispiele von unermesslichem Leid und Tod von Flüchtlingen im Jahrhundert „nationaler ethnischer Säuberungen“ und von zwei Weltkriegen in Europa, müssen sich den Vorwurf einer sentimentalen Inszenierung gefallen lassen. Weil die Ausstellungsmacher „Flüchtlinge“ nur zu einer heimat- und geschichtslosen Leidensgemeinschaft abstrahiert haben. Aber: Warum zählen die europaweit Deportierten in die deutschen Konzentrationslager nicht als Opfer? Der Genozid an Roma und Sinti bleibt unerwähnt! Der Holocaust als Ereignis sui generis wird ausgespart. Warum gilt ihnen kein Platz im „Gedächtnis der Völker“?

Frau Steinbach betonte bei der Eröffnung, dass ­diese „Ausstellung singulär“ sei, „Nichts Vergleichbares hat es bislang gegeben. Weder in Deutschland noch irgendwo anders in Europa“. Dabei wurde doch schon in unzähligen Büchern die Geschichte des deutschen Faschismus in eine Opferlitanei der Deutschen umgeschrieben. Wegen nur weniger Fehler in der Zuordnung privater Kriegsfotos musste die Ausstellung über den „Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht“ überarbeitet werden. Diese, auf „Gefühle“ und „Recht auf Heimat“ orientierte, Ausstellung lässt sich nicht korrigieren. Ich fürchte allerdings, dass Neo-Nazis sich durch sie in ihrer national-egoistischen Sichtweise bestätigt sehen könnten: „Heimat“ statt geschichtsbewusster internationaler Solidarität. Das „Zentrum gegen Vertreibungen“ hat seinen Anspruch auf reaktionäre Geschichtsdeutung unverhohlen offen gelegt.